RWE-Power / Rheinbraun und ihre Vorläufer - Konzerngeschichte
Stüttgenweg 2




Stephanie van de Kerkhof
RWE-Power / Rheinbraun und ihre Vorläufer - Konzerngeschichte


Nicht nur die Braunkohleförderung, sondern auch ihre Verarbeitung waren und sind für das Rheinische Revier, d.h. den Raum zwischen Köln, Aachen, Grevenbroich und Mönchengladbach, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts von großer Bedeutung. Zunächst wurde das Altrevier bei Brühl süd-westlich von Köln erschlossen, dann folgten die Tagebaue der Ville und im Inderevier, in kleinerem Umfang auch bei Düren und Zülpich. Über 80 % der gewinnbaren Vorräte von rd. 35 Mrd. t lagern im Rheinischen Revier und sind seit dem 20. Jahrhundert im großflächigen Tagebau in der größten zusammenhängenden Braunkohlenlagerstätte Europas erschlossen worden. Bis 1932 stand die Belieferung von Industrieunternehmen mit Rohbraunkohle und die Brikettproduktion für private Nachfrager im Vordergrund. In Konsequenz entstanden ca. 40 Brikettfabriken. Zu den wichtigen Fabriken mit bedeutenden Bauten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zählen die Brikettfabrik Wachtberg (1901-1902) und Carl (1905-1907) in Frechen, die Brikettfabriken Zukunft Weisweiler und Lucherberg (beide 1910) und Berrenrath in Hürth (1917 in Betrieb genommen). Nur die Fabrik Wachtberg ist noch im Betrieb, die Fabrik Carl konnte durch Umbau zu Wohnungen erhalten werden.

Erst seit den 1920er Jahren gewann die Verstromung der Braunkohle an Bedeutung. Dafür war die Ausbreitung der Elektrizitätsversorgung in der Fläche ursächlich. Es wurden zumeist von den Braunkohleförderern größere und kleinere Kraftwerke und die entsprechende Infrastruktur erbaut. Buschmann (2013) zählt dazu u.a. Wasserwerke und Anlagen der Stromverteilung. Von großer Bedeutung für den Aufbau eigener Kraftwerke waren das Elektrizitätswerk Berggeist bei Brühl (1905) und die Kohlekraftwerke Zukunft in Weisweiler und Vorgebirgszentrale am Rande der Ville (beide 1913), das spätere Kraftwerk Goldenberg in Hürth. In Hürth expandierte die von Hugo Stinnes mit gegründete Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke AG in Essen erstmals mit einem Großkraftwerk „auf der Braunkohle“, nachdem sie bereits 1912 erste langfristige Kohlelieferungsverträge mit der Roddergrube AG abgeschlossen hatte. Dies war der Beginn eines neuen Geschäftskonzeptes der abbaustandortnahen Verstromung.

In der Gegenwart wurden über 50 % der Stromerzeugung in NRW im Revier erzielt (2000). Verantwortlich für diese Entwicklung waren die Vorgängergesellschaften der RWE Power AG bzw. der Rheinbraun AG. Dies waren die 1908 gegründeten Braunkohlen- und Brikettwerke Roddergrube AG (Roddergrube), Brühl, die Rheinische Aktiengesellschaft für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation (RAG) mit Sitz in Köln sowie die 1913 im Westen des Reviers gegründete Braunkohlen-Industrie AG (BIAG) Zukunft Eschweiler. Sie alle waren ein Zusammenschluss älterer, bereits länger bestehender Gruben und Gewerkschaften im Rheinischen Revier. Erst 1952 entstand im Südrevier aus verschiedenen bei Grevenbroich gelegenen Werken die Braunkohlenbergwerke Neurath AG mit Sitz in Düsseldorf.

Beispielhaft kann die Entwicklung zu immer größeren Unternehmungen der Branche am Vorstandsvorsitzenden der Rheinischen Aktiengesellschaft für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation (RAG), Dr. Paul Silverberg (1876-1959), nachvollzogen werden. Er stammte aus einer jüdischen Unternehmerfamilie mit breit diversifiziertem Engagement im rheinischen Bedburg (Textilindustrie, Linoleumproduktion, Braunkohleförderung, Brikettherstellung). Nach dem Tode seines Vaters 1903 wurde er Generaldirektor der Fortuna AG für Braunkohlen- und Brikettproduktion, deren Absatzpolitik er insofern revolutionierte, als er sie gemeinsam mit den 30 anderen selbständigen Unternehmen der Branche im Aachen-Kölner Braunkohlerevier in die neue Braunkohlen-Brikett-Verkaufsverein GmbH einbrachte. Zudem gelang eine Kooperation mit dem Rheinisch-Westfälischen Kohlesyndikat (RWKS), dem Absatzkartell der Steinkohleförderer. Sie waren v.a. im Ruhrgebiet beheimatet. Engagiert verfolgte Silverberg verschiedene Unternehmenszusammenschlüsse vor dem Ersten Weltkrieg, einer Zeit, die durch viele kurze Wirtschaftskrisen und den hohen Konzentrationsgrad in einigen Branchen gekennzeichnet war. Diese Tendenz zeigte sich auch bei der Braunkohle. Im Jahr 1908 wurden in der RAG mit Sitz in Köln mehrere ältere Werke zusammengeschlossen. Mit der Gründung der Rheinischen Elektrizitätswerk im Braunkohlenrevier Aktiengesellschaft (REW) 1910 trieb Silverberg als Aufsichtsratsvorsitzender zudem die Verstromung der Braunkohle voran. Die REW belieferte seit 1911 zunächst vor allem die Stadt Köln als wachsende rheinische Großstadt. Die Kooperation mit der Stadt Köln beförderte der Stromliefervertrag von 1913, mit dem die Stadt zugunsten der Kraftwerke der Braunkohleförderer auf den Ausbau eigener Kapazitäten verzichtete. Köln wurde durch die RAG und später die Rheinbraun AG mit ihren Verwaltungsbauten zu einem zentralen Ort für die Branche.

Energie, vor allem Kohle, war nach dem Ende des Ersten Weltkriegs besonders knapp. Dies zeigte sich nicht nur in der Besetzung des Rheinlands und des Ruhrgebiets 1923. Eine der wesentlichen Gründe war der Rückgang der Kohleförderung aufgrund von Streiks, politischen Unruhen und gestörter Infrastruktur. Eine Rolle spielte auch die zentrale Verwaltung der Verteilung von Braun- und Steinkohle sowie die angeordnete Belieferung der Besatzungsmächte. Sie wurde in Düsseldorf von der MICUM (Mission Interalliée de Controle des Usines et des Mines) gesteuert, die sich auch Eingriffsrechte in den Unternehmen vorbehielt. Silverberg verhandelte Ende 1923 die Liefermengen von Briketts nach Frankreich mit der MICUM. Im Gegenzug versuchte die RAG ihre Lohnkosten massiv zu senken und die Arbeitszeit zu steigern, um konkurrenzfähig zu sein. Damit blieb der Konflikt mit den erstarkten Gewerkschaften erhalten. Versorgungslücken traten bei Kohlen bis in die Mitte der 1920er Jahre auf. Die Besatzungszeit war auch für die stärkere Nutzung der Braunkohle zur Verstromung insofern förderlich, als Steinkohle von den Alliierten in größerem Maße als Reparationsleistung herangezogen wurde. Von 1918 bis 1933 verdoppelte sich die Produktion von Elektrizität nahezu, was die Bedeutung der Braunkohle forcierte. In der Weltwirtschaftskrise (1927-1932) verringerte sich die Nachfrage der Industrie nach Braunkohle aber wesentlich stärker als der Rückgang des privaten Konsums von Briketts. In den Zeiten des Arbeitskampfes um den 8-Stunden-Arbeitstag argumentierte Paul Silverberg, dass die Arbeitszeit auf 12 Stunden ausgeweitet und die Löhne effektiv gesenkt werden müssten, um mit Gewinnen weitere Investitionen vorzunehmen und die Wettbewerbsfähigkeit mit dem Ausland aufrecht erhalten zu können.

Die Bedeutung der RAG kam auch in der 1921 bis 1922 erbauten Hauptverwaltung in Köln nach Entwurf von Heinrich Müller-Erkelenz am Konrad-Adenauer-Ufer (an der Einmündung der Straße Türmchenswall in die Rheinuferstraße) zum Ausdruck. Auf Wunsch des Vorstandes wurde sie in Formen des Neubarocks gestaltet. Sie ging nach schweren Kriegsschäden und dem Bau einer neuen Verwaltung in Junkersdorf 1977 an einen neuen Eigentümer (Stiftung St. Vinzenz-Haus) über.

Silverberg arrondierte den Bergwerksbesitz der RAG, indem er seit 1924 begann, sich als Großaktionär bei der Harpener Bergbau-Aktiengesellschaft einzukaufen. Dort gelangte er 1925 in den Aufsichtsrat, eines von seinen über 50 Mandaten in diesen Gremien (z.B. Deutsche Bank, Rheinische-Westfälische Elektrizitätswerke, RWE), zum Teil auch als Vorsitzender. Er trieb auch die Rationalisierung und Verstromung der Braunkohle voran. Die 1913 gegründete Vorgebirgszentrale wurde zum größten Kraftwerk Europas, das Goldenberg-Kraftwerk, ausgebaut, das moderne Kraftwerk Frimmersdorf I 1928 errichtet.Entscheidenden Einfluss auf die Branche hat Silverberg auch bei der Verflechtung der beiden größten Gesellschaften, der RAG und der Roddergrube AG, durch Kapitalbeteiligung, Dividendengarantieverträge und Personalunion in den Aufsichtsräten genommen. Silverberg war von 1932 bis zum Frühjahr 1933 Vorsitzender des Vorstandes der Kölner Industrie- und Handelskammer und Präsidiumsmitglied des Reichsverbands der Deutschen Industrie (RDI), des Deutschen Industrie- und Handelstages, des Reichswirtschaftsrates und der Internationalen Handelskammer. Die Vielzahl seiner Mandate und seine wirtschafts- und finanzpublizistische Tätigkeit (v.a. gegen die Sozialisierung des Bergbaus, Abbau der Reichsschulden und den Ausbau der Eigenkapitalbasis der deutschen Unternehmen) führten u.a. zur Aufgabe des Vorstandsvorsitzes bei der RAG 1926 und zum Wechsel in den Aufsichtsrat, wo er Vorsitzender wurde. Seit 1929 war er zudem politisch tätig als Abgeordneter der DVP im Rheinischen Provinziallandtag, später als Kammerpräsident, der hier und als Vizepräsident des RDI aufgrund jüdischer Wurzeln 1933 zur vorzeitigen Amtsaufgabe gedrängt wurde. (Henning, S. 55-59, Soénius, S. 160f. in van Eyll 1997)

Der Ausbau des Reviers und die Rationalisierung durch neue Werke, gezielte Absatzförderung und Kooperation mittels Absatzkartellen wie dem Rheinischen Braunkohlen-Syndikat GmbH führten dazu, dass das Rheinische Revier zum führenden Produzenten vor der Lausitz und dem Mitteldeutschen Revier aufstieg. Nachdem schon ein Aktienkauf bei der Roddergrube AG seitens des Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) frühzeitig vorgenommen worden war, konnte durch einen Coup direkt nach der sog. „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten auch die absolute Mehrheit am Grundkapital der RAG erlangt werden. Das RWE setzte in den dreißiger Jahren seine Fusionsbestrebungen fort. So wurde 1934 in Brühl das Elektrizitätswerk Berggeist AG, in deren Aktienbesitz das RWE schon seit 1906 war, aufgelöst und als RWE-Betriebsverwaltung weitergeführt.

Zur weiteren Rationalisierung wurde 1935 z.B. der Tagebau Zukunft-West im westlichen Teil des Reviers als Ersatz für einen ausgekohlten Tagebau erschlossen. Der Vierjahresplan 1936 förderte diese Entwicklung noch, denn neben der Steigerung einheimischer Rohstoffförderung war ein wichtiges Ziel die Entwicklung von Ersatzstoffen für kriegswichtige Rohstoffe wie Treibstoffe, Metalle, Kunststoffe und Textilien. Die rheinischen Braunkohlengesellschaften gründeten daher im Januar 1937 die Union Rheinische Braunkohlen Kraftstoff AG (UK) mit Sitz in Köln, die aber erst nach 1941 Benzin und Dieselöl mittels einer Hochdruck-Hydrieranlage auf Grundlage von IG Farben-Verfahren produzieren konnte. Bereits 1943 konnten 225.000 t Dieselöl produziert werden. Die Anlage war für Köln-Wesseling als Standort ein entscheidender Impuls für die zukünftige Entwicklung nach 1945 (U. Soénius in van Eyll 1997).

Die rheinischen Betriebe wurden bis 1940 nicht nur die Größten Europas, sondern förderten ca. 25 % der Welt- und über 30 % der deutschen Braunkohle, die v.a. als Hausbrand und zur Elektrizitätsproduktion diente. Die Fabrik Fortuna-Nord in Bergheim wurde 1939 durch den Industriearchitekten Werner Issel (1884-1974) geplant. Es wurde vor einigen Jahren im Einvernehmen mit RWE Power in die Denkmalliste eingetragen. Die stillgelegte Anlage wurde noch auf dem zum Kraftwerk Niederaußem gehörenden Werksgelände als Reserveanlage bereitgehalten.

Zudem wurde das Braunkohlenwerk „Goldenberg“ in Hürth Knapsack in den 1930er Jahren mit 1.365 Beschäftigten das größte Kraftwerk Europas und eines von zwei öffentlichen Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten im Wehrwirtschaftsbezirk VI (Regierungsbezirke Aachen, Düsseldorf und Köln). Als leistungsfähigstes Elektrizitätswerk im Rheinland erzeugte es 1938 über 3,3 Mio. kWh aus Braunkohle. Daneben bestanden verschiedene Brikettfabriken zur direkten Weiterverarbeitung, und eine eigene Reederei sorgte für schnellen Absatz bis in die Schweiz und die Niederlande. Dies machte sich auch in den Fördermengen bemerkbar: sie stiegen von rd. 52 Mio. t 1929/30 auf ca. 59 Mio. t 1938/39, nachdem sie am Ende der Weltwirtschaftskrise auf rd. 39 Mio. t 1932/33 abgesunken waren. Ein größerer Anteil davon wurde zu Briketts weiterverarbeitet (12,25 Mio. t 1938/39), mit steigender Tendenz im Zweiten Weltkrieg. Ein Höchststand wurde 1942/43 mit einer Förderung von 68 Mio. t erreicht.

Während des Krieges wurden wie in vielen Kölner und Aachener Betrieben auch im Braunkohlenbergbau bei der RAG bis zu einem Drittel ausländische Zwangs- und sog. Fremdarbeiter eingesetzt. Zudem waren französische und italienische Kriegsgefangene beschäftigt, bei der Roddergrube auch polnische Kriegsgefangene. Sie lebten in von den Unternehmen eingerichteten Lagern und waren beständig von der Zerstörung der Barackenunterkünfte durch Bombardements bedroht. Der Westteil des Reviers wurde Ende 1944 zum Kriegsgebiet, so dass Tagebaue und Fabriken stillstanden. Einige Gruben wurden durch Bombardierungen in Brand gesetzt und konnten – anders als die weiterverarbeitenden Unternehmen – teils monatelang nicht gelöscht werden.

Schon in den 1930er Jahren starteten erste Initiativen zur Erforschung der Rekultivation der ausgebeuteten Landschaften, wozu auch Überlegungen zum Tiefbauübergang gehörten. Die Forschungen zum Tiefbau sollten angesichts der ersten ausgekohlten Tagebaue den Unternehmen neue Perspektiven zum Abbau eröffnen, wozu sie die Rheinische Braunkohlentiefbau GmbH in Köln 1939 gründeten. Aufgrund der geologischen Verhältnisse war aber ein großflächiger Abbau der Braunkohle im Tiefbauverfahren nicht möglich.

Zunächst regelte eine Alliierte Kontrollkommission den Braunkohlebergbau, die Unterabteilung der „North German Coal Control“ saß in der RAG-Hauptverwaltung in Köln. Waren in Köln v.a. Wohnviertel der Bevölkerung und Verkehrsinfrastruktur durch Bombardierungen zerstört worden, um am Kriegsende zu demoralisieren, so traf dies die Industrieanlagen, zumal am Rand der Stadt, weniger stark. Schulz (van Eyll 1997, S. 244) spricht von zehn bis 25 % der Industrieanlagen im Vereinigten Wirtschaftsgebiet, die zerstört worden waren. Dazu gehörte auch die Hochdruck-Hydrieranlage der UK, die nach schweren Zerstörungen im Spätherbst 1944 stillgelegt wurde. Auch die folgenden Demontagen der britischen Besatzungsmacht hatte eine stärkere psychologische Wirkung als tatsächliche Folgen für den Unternehmensbestand, der sich seit dem Vierjahresplan 1936 ja beträchtlich ausgeweitet hatte. Marshallplanhilfe und European Recovery Program taten seit 1947/48 ihr Übriges, um die deutsche Wirtschaft noch vor der Währungsreform 1948 zu stabilisieren. Damit konnte sich auch der Braunkohlebergbau langsam erholen, der allerdings von den Zerstörungen im Verkehrsbereich zunächst stark betroffen war.

Die Förderung ging 1945 auf 16,5 Mio. t zurück, nur etwa ein Viertel des Vorjahres. Dies bedeutete auch starken Mangel für die Menschen in der Region, die sich in ihrer Not an vorbeifahrenden Brikettzügen bedienten („fringsen“ nach dem Kölner Kardinal Frings, der für den Diebstahl aus Not 1946 in seiner Jahresendpredigt milde Worte gefunden hatte). Insbesondere die Verarbeitung von Braunkohle zu Briketts stieg aber am Ende der 1940er und in den 1950er Jahren wie die Förderquoten stark an. Waren in der Zwischenkriegszeit ca. 15.000 Bergleute im Rheinischen Revier beschäftigt gewesen und im Nationalsozialismus zunächst stark angestiegen, so pendelte sich diese Zahl 1947 auf ca. 22.500 Beschäftigte ein. Sie erhielten durch die westeuropäischen Verträge der Montanunion 1952 das Recht auf paritätische Mitbestimmung und entsandten seit 1953 Vertreter in Vorstand und Aufsichtsrat. Gleichzeitig nahm die Verstromung sukzessive auf etwa ein Viertel der Förderung zu. Damit kam die Verbundwirtschaft von Braunkohleindustrie und Elektrizitätsherstellung zu einer weiteren Blüte.

Insbesondere seit Mitte der 1950er Jahre wurde die Kooperation von Braunkohleförderung und Verstromung forciert. Dazu wurde z.B. das Kraftwerk Frimmersdorf II (1953-1965) in Grevenbroich errichtet, die Brikettfabrik Geich in Zülpich (1955) erbaut, die Brikettfabrik Zukunft Weisweiler vergrößert (ihre Spitzenproduktion lag in den Jahren 1963/64, die Produktion wurde 1970 gedrosselt und schon 1973 eingestellt). Nach dem Ausbau des Kohlekraftwerks Zukunft (Weisweiler 2) 1938 wurde Ende 1954 ein zweites neues Kraftwerk (Weisweiler 1) als technisch innovatives Blockkraftwerk (maschinenmäßig größtes Stromkraftwerk Europas) in Betrieb genommen. Bis dahin war die Konzentration der Branche weiter fortgeschritten, so dass im rheinischen Braunkohlenrevier, das schon in der Nachkriegszeit das bedeutendste der Bundesrepublik darstellte, nur noch vier Bergbaugesellschaften bestanden. Sie förderten über 50 Mio. t pro Jahr aus 23 Tagebauen im Revier. Den größten Anteil hatte die Roddergrube AG, Brühl, ihr folgten die RAG, Köln, und die BIAG Zukunft Eschweiler. Den kleinsten Anteil förderte die Braunkohlenbergwerke Neurath AG mit Sitz in Düsseldorf. Doch der Konzentrationsprozess hielt weiter an. Im Jahr 1959/60 schlossen sich die vier genannten Gesellschaften zur „Rheinischen Braunkohlenwerke AG“ mit Sitz zunächst am Kölner Rheinufer zusammen. Die Aktien befanden sich zu diesem Zeitpunkt schon zum überwiegenden Teil im Besitz des RWE, bei der BIAG Zukunft beispielsweise schon seit 1927.

Die starke räumliche Ausweitung des Braunkohleabbaus verbunden mit der Zunahme des Strombedarfs v.a. in Städten und Industrieanlagen hatte eine Nordwanderung der im Tagebau betriebenen riesigen Gruben zur Folge. Sie wurden zur Nutzung von Synergien 1954 mit den Brikettfabriken und Kraftwerken des Reviers durch eine Privatbahn für überschwere Kohlenzüge am Ostrand der Ville, die „Nord-Süd-Bahn“,miteinander verbunden. Sie erhielt später noch einen Anschluss mit der neu geschaffenen „Hambachbahn“. Auch die Technologie des Abbaus mit Schaufelradbaggern entwickelte sich nach den Anfängen 1935 stärker seit Mitte der 1950er Jahre. Erste Tagebaue bei Düren und Zülpich waren nun ausgekohlt.

Der Abbau in immer größeren Tiefen und der breiten Fläche begann 1955 mit dem Prototyp des modernen Tagebaus, der Grube Fortuna bei Bergheim. Dies brachte in Konsequenz direkt eine Absenkung des Grundwasserspiegels in der Region. Neben der Abbautechnologie entwickelte sich auch die Pumpentechnik entsprechend beständig weiter. Im Jahr 1958 wurde der Große Erftverband aufgrund der Eingriffe in den Grundwasserbestand gesetzlich gegründet. Er brachte Berg- und Elektrizitätswerke mit den Wasserwerken an einen Tisch, um die regionale Wasserversorgung möglichst effizient zu organisieren. Zudem mussten immer größere Umsiedlungen im betroffenen Gebiet vorgenommen werden, was neben ökologischer Kritik auch den Beginn eines anhaltenden gesellschaftlichen Konflikts zwischen Befürwortern und Gegnern des Kohleabbaus in der Region bedeutete.

Das Kraftwerk Weisweiler 1 wurde zunächst noch kontinuierlich erweitert: seit 1974 wurden zwei neue Blöcke mit 1.700 MW in Betrieb genommen. Doch das ältere Werk Weisweiler 2 musste 1975 stillgelegt werden und wurde 1977 mit der alten Brikettfabrik abgebrochen. Im Jahr 1987 folgte, um der Umweltproblematik zu begegnen, eine moderne Rauchgasentschwefelungsanlage mit Kosten in Milliardenhöhe.

Doch schon bald begann ein bis heute anhaltender Konzernumbau. Die Rheinische Braunkohlenwerke AG begann sich wie viele bundesdeutsche Unternehmen nach den ersten Nachkriegskrisen, u.a. den beiden Ölkrisen, in den 1980er Jahren stärker zu diversifizieren. Denn die Zahl der Tagebaue war von 23 in den 1950er Jahren schon massiv auf acht zurückgefahren worden. Eine breitere Aufstellung im Dienstleistungs- und Handelssektor sollte die Krisenanfälligkeit reduzieren. Konsequenterweise wurde der Unternehmensname 1989 auf Rheinbraun AG verkürzt. Da die Produktion von Briketts sich rückläufig entwickelte, setzte Rheinbraun nun stärker auf Veredlungsprodukte wie Braunkohlenstaub und Wirbelschichtbraunkohle. Mit dem Zunehmen der Verstromung von Braunkohle in der Nachkriegszeit erreichte diese Absatzart bis in die 1990er Jahre ein Niveau von fast 90 % an der gesamten Produktion. Neue Kraftwerke wurden im Erftkreis errichtet, so dass „gewaltige Kraftwerkskapazitäten“ entstanden, was den Zuzug anderer Branchen wie z.B. des Stickstoffwerks in Knapsack begünstigte.

In den 1990er Jahren stabilisierte sich die Förderleistung des Braunkohlentagebaus weiter, so dass 1995 von den fünf Tagebauen im rheinischen Braunkohlenrevier 110 bis 120 Mio. t pro Jahr gefördert wurden. Zu Beginn des neuen Jahrtausends sollte sie aber weiter auf die drei Tagebaue Hambach, Inden und Garzweiler I bzw. II reduziert werden. Von den 19 Fabriken im Jahr 1960 existierten 2000 nur noch drei, die v.a. Veredlungsprodukte und Briketts herstellen. Der Anteil der Produktion, der verstromt wurde, stieg aufgrund der nachlassenden Relevanz von Briketts an. Das Kraftwerk Weisweiler 1 produzierte beispielsweise 2000 ca. ein Viertel der Energieerzeugung im Revier d.h. 17 TWh Strom im Jahr mit rd. 1.250 Beschäftigten.

Die massive Ausweitung der Fördermenge und -gebiete hatte aber auch eine Kehrseite: der Ressourcenverbrauch führte zu Umweltproblemen wie der immer stärkeren Absenkung des Grundwasserspiegels oder der Vernichtung von klimatisch bedeutenden Waldgebieten, der problematischen Umnutzung von Siedlungs-, Verkehrs- und Landwirtschaftsflächen und der Umsiedlung von Menschen, Gebäuden, Unternehmen und Infrastruktur. In Konsequenz wurde auch wertvolles Kulturgut wie Kirchen, Denkmäler u.a. Bauten unwiederbringlich vernichtet. Im südlichen Teil der Abraumgebiete wurden die ausgekohlten Gruben rekultiviert und Naherholungsgebiete wie der Erholungspark Ville geschaffen. In der Börde um Düren und Zülpich wurden in den 1960er Jahren Freizeitflächen wie Badeseen u.ä. in den rekultivierten Flächen angelegt.

Im Jahr 2003 ging Rheinbraun endgültig in die RWE Power AG als diversifizierter Förder- und Stromkonzern über. In Köln konnte der von Hentrich, Petschnigg und Partner 1973 bis 1976 errichtete ehemalige Sitz der Rheinischen Braunkohlewerke AG am Stüttgenweg 2 genutzt werden. Der moderne Hochhausbau steht in Sichtweite der Kraftwerke Hürth und Bergheim im Äußeren Grüngürtel von Köln-Junkersdorf. Der Name Rheinbraun wird dagegen seit 2003 nur noch für Tochtergesellschaften genutzt, die Veredlungsprodukte aus Braunkohle wie Braunkohlenstaub produzieren. Seit 2019 gehört die RWE Power AG zur RWE AG mit Sitz in Essen und Köln. RWE ist damit heutzutage sowohl für das Betreiben der Tagebaue als auch für die Verstromung verantwortlich. Damit kam ein lang andauernder Konzentrationsprozess in der nahen Vergangenheit zu




Literatur
Architekten- und Ingenieurverein Köln e.V. (1985): Bauen für Köln. Gestaltungsbeispiele in Beton, Köln

Bührer, Werner (2010): Silverberg, Paul. In: NDB 24, Berlin, S. 414f. Buschmann, Walter (2013): Kölner Industriekultur. Bedeutung und Überlieferung. In: Ders. (Hg.): Zwischen Rhein-Ruhr und Maas. Pionierland der Industrialisierung – Werkstatt der Industriekultur, Essen, S. 107-119

Gehlen, Boris (2007): Paul Silverberg (1876-1959). Ein Unternehmer (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte Nr. 194). Stuttgart

Ders. (2009): Die Rheinische Aktiengesellschaft für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation (RAG) - ein Familienunternehmen? In: Susanne Hilger/Ulrich S. Soénius (Hg.): Netzwerke - Nachfolge - Soziales Kapital. Familienunternehmen im Rheinland im 19. und 20. Jahrhundert. Köln, S. 121-138

Gilson, Norbert (2000): Der Markt als Herausforderung – Energie-, Wasserversorgung und Abfallentsorgung im Raum Aachen. In: van Eyll, Klara/Eschweiler, Otto (Hg.): Wirtschaftsgeschichte der Region Aachen. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart, Köln, S. 234-249

Kleinebeckel, Arno/Dick, Hans-Gerd (2000): Der Westen des Rheinischen Braunkohlenreviers. In: van Eyll, Klara/Eschweiler, Otto (Hg.): Wirtschaftsgeschichte der Region Aachen. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart, Köln, S. 220-233

Kleinebeckel, Arno (1986): Unternehmen Braunkohle, Köln

Maier, Helmut (Hg., 1999): Elektrizitätswirtschaft zwischen Umwelt, Technik und Politik: Aspekte aus 100 Jahren RWE-Geschichte 1898–1998. Freiberg

Schiffer, Hans-Wilhelm (1998): Rheinbraun – Gegenwart und Zukunft, Köln

Schweer, Dieter/Thieme, Wolf (Hg., 1998): RWE – ein Konzern wird transparent. Der gläserne Riese. Wiesbaden

Van Eyll, Klara (Hg., 1997): Die Geschichte der unternehmerischen Selbstverwaltung in Köln 1914-1997, Köln