Kraftwerk Frimmersdorf I Erftstraße 99



Walter Buschmann
Kraftwerk Frimmersdorf I in Grevenbroich





Geschichte

Die Entstehung des Kraftwerks Frimmersdorf ist eng mit der Geschichte der Stadt Rheydt verbunden. In den Jahren 1899 und 1900 war in Rheydt das städtische Elektrizitätswerk zur Versorgung der gleichzeitig elektrifizierten Pferdebahn nach Mönchengladbach entstanden. Das Kraftwerk wurde gebaut durch Siemens & Halske und erzeugte Gleichstrom. 1905 erfolgte eine Erweiterung um ein Drehstromkraftwerk. Das städtische Kraftwerk Rheydt betrieb eine rege Expansionspolitik und gewann benachbarte Städte und Gemeinden als Stromabnehmer. Seit 1911 war das erweiterte Versorgungsgebiet an das Kraftwerk angeschlossen.

Brikettfabrik Gewerkschaft Neurath
Der Erfolg beflügelte zu neuen Taten und lenkte naheliegender Weise den Blick auf die Energiereserven des rheinischen Braunkohlereviers. Das schon 1858 verliehene und im Tiefbau abgebaute Feld Neurath wurde seit 1907 im Tagebau betrieben und ab 1909 baute die Gewerkschaft Neurath im Feld Prinzessin Victoria Kohle ab. Im Südrevier war schon seit 1899 das erste Kraftwerk im Braunkohlegebiet, das Kraftwerk Berggeist bei Brühl in Betrieb und zahlreiche Zechenkraftwerke zeigten die lukrative Verwendung von Braunkohle zur Stromerzeugung. 1910 hatte sich die Stadt Köln endgültig zum Strombezug aus dem Braunkohlerevier entschieden, wurde seit 1911 vom Grubenkraftwerk Luise bei Bergheim beliefert und erhielt Anfang 1912 den ersten Strom aus dem Kraftwerk Fortuna I.

Tagebau Frimmersdorf-Süd
In diesem historischen Umfeld ist die Gründung der Niederrheinischen Licht- und Kraftwerke im Jahr 1912 zu sehen. Es war nach dem Vorbild des Rheinisch-Westfälischen-Elektrizitätswerkes ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen, an dem die Stadt Rheydt und die Deutsche Continental-Gas-Gesellschaft AG/Dessau je zur Hälfte beteiligt waren. Das Dessauer Unternehmen war 1855 gegründet worden und hatte schon in den ersten beiden Jahren sieben Gaswerke erbaut, darunter in der Dessauer Straße auch das Gaswerk in Mönchengladbach. Obwohl also beide Gesellschaften in der Region verankert waren, wurden erst 1916 die ersten beiden Braunkohlefelder bei Frimmersdorf erworben und 1917 die Gewerkschaft Walter (seit 1921 Niederrheinische Braunkohlewerke) gegründet. Das Unternehmen betrieb seit 1917 den Tagebau Frimmersdorf-Süd.

Foto 1930
Lageplan
Luftbild 1952
Wieder vergingen einige Jahre, bis das Unternehmen 1925/26 das von Anfang an angestrebte Kraftwerk errichten ließ. Das Kraftwerk wurde projektiert durch den bei der AEG tätigen, wohl berühmtesten deutschen Kraftwerksplaner Georg Klingenberg. Die Bauzeichnungen entstanden im Baubüro der AEG. Das Kraftwerk war für eine Leistung von 60 Megawatt (MW) geplant und ging 1925 zunächst mit vier Kesseln und einem 10 MW-Turbosatz im Betrieb. 1928 wurde ein zweiter Turbosatz mit 22 MW und zwei weitere Kessel im Betrieb genommen und 1930 ein Turbosatz mit 6,4 MW aus den Städtischen Kraftwerk Rheydt übernommen. Frimmersdorf hatte damit eine Leistungskraft von 38,4 MW und galt als Großkraftwerk.

1936 übernahm das RWE das gesamte Aktienkapital der Niederrheinischen Braunkohlenwerke. Das Kraftwerk Frimmersdorf wurde in die Verbundwirtschaft des RWE eingebunden. Die zum Bergwerk gehörenden Brikettfabriken und Nebenbetriebe wurden aufgegeben und die gesamte Kohlenförderung zur Stromerzeugung verwendet. Im Kraftwerk wurde ein vierter Turbosatz mit 20/25 MW und ein siebter Kessel eingebaut.

Nach Beseitigung der Kriegsschäden wurde 1948 im Kraftwerk Frimmersdorf der 6,4 MW Turbosatz durch einen 20 MW-Turbosatz ersetzt und eine Vorschaltanlage errichtet. Die Gesamtleistung erreichte nun 90 MW. Zur Entlastung der Erft war ein Kühlturm errichtet worden, der das Bild des Kraftwerks in der Nachkriegszeit prägte.

Auch nach Inbetriebnahme des Kraftwerks Frimmersdorf II 1955 blieb das alte Kraftwerk in Betrieb und wurde aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Reinhaltung der Luft 1965 stillgelegt. Maschinen- und Kesselhäuser wurden abgebrochen. Erhalten blieben die beiden Schalthäuser und der Leitstand mit dazwischen liegendem Verbindungsbauwerk, das sich mit einem Torbogen über die von der Erft kommenden Straße spannt.


Beschreibung

Foto 1930
Die Lage des Kraftwerks in einer Erftschleife und an einem vorhandenen Erftübergang prägte Technik und Architektur der Anlage. Frimmersdorf I war bis 1948 ein reines Durchlaufkraftwerk, d. h. das Wasser der Erft wurde eingangs der Flußschleife in einer Einlaufanlage dem Fluß entnommen und gelangte nach Nutzung über einen Auslaufkanal am Ende der Schleife wieder in den Fluß zurück. Im Süden war das Kraftwerksgelände begrenzt durch den Tagebau, aus dem die Braunkohle mit einer vorhandenen Kettenbahn auf das Gelände gefördert wurde. Die Beachtung dieser Fixpunkte: Erftschleife, Erftbrücke mit der aufrecht zu erhaltenden öffentlichen Straße und Kettenbahn führten in der Gesamtdisposition zu einer ungewöhnlichen Baumassengliederung, die wesentlich auch noch heute den Reiz der überlieferten Bauten bestimmt.


In der T-förmigen Zuordnung von Kessel- und Maschinenhaus blieb Georg Klingenberg seinen seit 1909 realisierten Grundsätzen (Märkisches Elektrizitätswerk Heegermühle bei Eberswalde) treu. Das Kesselhaus lag dabei geradlinig in der Achse der Kettenbahn, so daß die Braunkohle den gewünscht einfachen, geraden Weg von der Gewinnung bis in die Kessel hatte. Quer zur Kesselhausachse lag das Maschinenhaus mit einer zentralen Warte, die dem Maschinenhaus als würfelförmiger Kubus vorgelagert war.

Erhaltene Baugruppe des Kraftwerks von der Erftseite mit der Schaltwarte im Vordergrund
Ungewöhnlich war die Anordnung der beiden Schalthäuser, jenseits der Erftstraße in zwei langgestreckten Backsteinkuben, die untereinander und zur Zentralwarte mit Verbindungsbrücken verbunden waren und verbunden sind. Begründet wurde diese Disposition der Baukörper mit dem beizubehaltenden Weg, der zur Erftbrücke führt.

Schalthaus
Die Architektur wird geprägt durch die schlichte, kubische Qualität der Baukörper und durch das Zusammenspiel von Horizontal und Vertikallinien mit dem großen Bogen der Straßenüberbrückung. Durch die zurückspringenden Brüstungen zwischen den schmalen Fenstern der Zentralwarte ergibt sich an diesem Gebäudekörper eine Vertikalordnung, die durch Trauf- und Fenstergesimse, besonders aber durch ein horizontales Fensterband, das Brückenbauwerk und Schaltwarten umzieht akzentuiert wird. Besondere Gestaltungselemente sind die mehrfach gestuften Laibungen der Portale zum Treppenhaus der Zentralwarte und zu den beiden Schalthäusern, sowie die Fallrohre mit ihren vieleckigen Rinnenkesseln. Das zur Zentralwarte führende Treppenhaus ist als eigenständiger, dreiachsiger Kubus betont. Im Erscheinungsbild mitsprechend sind auch die Blechtore im Erdgeschoß der Schalthäuser unter kräftigem Sturzgesims.

Der in der zur Erft orientierten Hauptansicht des 55 KV-Schalthauses angeordnete Balkon war als rein gestalterisches Mittel ursprünglich achsialsymetrisch ausgebildet und ist heute auf etwa die Hälfte verkürzt. Metallsprossenfenster und die mit rautenförmigem Sprossenwerk versehenen Türen sind teilweise aus der Bauzeit erhalten. Im Inneren der Zentralwarte ist keine erhaltenswerte Ausstattung überliefert. Die Schalthäuser waren zum Zeitpunkt der Begehung nicht zugänglich.


Bedeutung

Foto 1930
Das Kraftwerk ist Teil der Entwicklungsgeschichte des rheinischen Braunkohlereviers und der Stromversorgung des Niederrheins. Es zeigt die relativ späte Entwicklung des Nordreviers, die nicht unwesentlich mit einer kommunalen Initiative verknüpft war. Das Kraftwerk ist darüber hinaus ein Dokument für den Braunkohlenbergbau im Rheinland, der in seiner Entwicklungsgeschichte seit etwa 1900 eng mit der Kohleverstromung verbunden war.

Architekturhistorisch ist Frimmersdorf I ein bedeutendes Beispiel für die klassische Moderne im Rheinland. Westdeutschland war in den 1920er Jahren Schauplatz für die Entwicklung eines kubischen Backsteinstils. Im Unterschied zum sogenannten rheinischen Expressionismus mit seinen spitzwinkligen oder kristallinen Formen, den reichhaltigen, ornamentalen Flächenmustern oder auch gotisierenden Elementen vertritt das Kraftwerk Frimmersdorf I eine sachliche Variante, wie sie im Rheinland z.B. typisch war, für den Architekten Alfred Fischer. Es verkörpert den in Backsteinbauweise umgesetzten Gedanken der Bauhaus - Architektur.


Literatur

AEG (Hg), Kraftwerk Frimmersdorf der Niederrheinische Licht- und Kraftwerke A.-G.. Rheydt, Berlin Dez. 1926

Butenschön, Heinrich-Timm: Einblicke. 75 Jahre regionale Energieversorgung am Niederrhein 1912 - 1987. Mönchen-Gladbach o. J. (1987) Kleinebeckel, Arno: Unternehmen Braunkohle. Geschichte eines Rohstoffes, eines Reviers. einer Industrie im Rheinland. Köln 1986

Niederrheinische Licht- und Kraftwerke (Hg): 1912 - 1962 NLK. Darmstadt o. J. (1962)

Witt, Detlef: Die Kraftwerke Fortuna. RWE BV Fortuna, Köln o. J. (1989)

Die geschichtliche Entwicklung der NBW von 1920 - 1959, maschinenschriftliches Manuskript imZentralarchiv Rheinbraun 352/9 10

Klingenberg, Georg: Bau großer Elektrizitätswerke, Berlin 1913