Baumwollspinnerei | Weberei Cromford
Ratingen, Cromforder Allee 24

Texte und Dokumente
Claudia Gottfried: Die Unternehmerfamilie Brügelmann in der Frühindustrialisierung
Claudia Gottfried: Textilfabrik Cromford in Ratingen. Ein Rundgang


Claudia Gottfried
Die Unternehmerfamilie Brügelmann in der Frühindustrialisierung

“Man gehe nach Ratingen und sehe, was dort Herr Brögelmann unternahm und ausführte, welche schöne Fabrik er stiftete, ... welchen Reichtum er sich erwarb.” Westfälischer Anzeiger, 1801


Neuanfang

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Cromford, 1789
Im Sommer 1784 verlegte der Kaufmann und Unternehmer Johann Gottfried Brügelmann (1750-1802) sein Geschäft von (Wuppertal-)Elberfe|d nach Ratingen. Nachdem ihm der Landesherr Karl Theodor für zwölf Jahre ein Privileg zum Betreiben seiner neuen Spinnmaschinen erteilt hatte, errichtete Bügelmann hier in Cromford sein erstes Fabrikgebäude – die “AIte Fabrik“ und nahm die Baumwollspinnerei auf (HSTAD, Jülich-Berg III, Nr. 141).

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Johann Gottfried Brügelmann (1750-1802)
Brügelmann brachte alle Voraussetzungen für einen erfolgreichen Neuanfang mit. Er stammte aus einer Familie der "Meistbeerbten", aus den sehr reichen und einflussreichen Textilunternehmerkreisen Wuppertals (Bolenz 1993, S.25 ff.). Und er hatte mit Anna Christina Ochsen, geborene Bredt (1745-1805), eine ebenfalls sehr wohlhabende Frau geheiratet, die nicht nur ihre Mitgift, sondern auch das Erbe ihres ersten Mannes, des Kaufmanns Peter Ochsen, mit in die Ehe brachte und damit Brügelmann die Gründung eines eigenen Geschäfts ermöglichte. Brügelmann hatte eine fundierte kaufmännische Ausbildung—unter anderem in Basel—erhalten und weitreichende Erfahrungen als Kaufmann und Unternehmer gesammelt. Er verfügte über vielfältige Geschäftsverbindungen im In- und Ausland. Nicht zuletzt besaß er mit den neuen englischen Spinnmaschinen und den abgeworbenen englischen Facharbeitern ein besonderes und vor allem neues technisches ‚Know-how‘ (Gemmert 1927).

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Lageplan von 1803
Auch der Standort der neuen Fabrik war günstig gewählt. Brügelmanns Umzug aus dem Wuppertal, einem der bedeutendsten Zentren der Textilindustrie, nach Ratingen-Cromford hatte guten Grund. Denn hier fand er für sein Vorhaben die insgesamt besseren Bedingungen vor: Das Wasser der Anger sorgte für die nötige Energie; Grund und Boden gab es zu günstigen Preisen. Die Verkehrslage war gut durch die Nähe zum Rhein und zur Haupt- und Residenzstadt Düsseldorf.

Streitigkeiten mit den Zünften wie in Elberfeld waren in Ratingen nicht zu erwarten. Schließlich standen in der verarmten Handwerkerstadt viele billige Arbeitskräfte zur Verfügung. Das an sich sehr hohe Risiko einer solchen Fabrikgründung war also wesentlich vermindert, zumal Brügelmann sein Wuppertaler Handelsgeschäft noch beibehielt.


Johann Gottfried Brügelmanns Neuanfang in Ratingen glückte. 1784 lief hier sehr erfolgreich die erste mechanische Baumwollspinnerei in Deutschland - eine von den Zeitgenossen sehr bewunderte Fabrik. So konnte man im “Westfälischen Anzeiger“ lesen: “Man gehe nach Ratingen und sehe, was dort Herr Brügelmann unternahm und ausführte, welche schöne Fabrik er stiftete, die sonst unserem Land fremd war, wie viele Menschen er ernähret …, welchen Reichtum er sich erwarb.“ (Westfälischer Anzeiger, 1801, Nr. 55, S. 865) Durch die Fabrik wurde Brügelmann endgültig zu einem der erfolgreichsten und wohlhabendsten Männer seiner Zeit im Herzogtum Berg. Darüber hinaus sicherte er sich bis heute einen wichtigen Platz unter Deutschlands großen Industriepionieren - wie Haniel, Thyssen, Siemens und Krupp. Das Fabrikunternehmen erwies sich als so erfolgversprechend - Brügelmanns andere wirtschaftliche Aktivitäten, Verlags- und Geldgeschäfte, waren es ebenfalls -, dass er schon drei Jahre später seinen wirtschaftlichen Aufstieg mit dem Bau eines repräsentativen Wohn- und Geschäftshauses krönen konnte.

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Herrenhaus Cromford. Quelle: LVR-Industriemuseum
Das spätbarocke, schloßähnliche Herrenhaus Cromford, das für einen Kaufmann ungewöhnlich groß bemessen war, wurde innerhalb von drei Jahren im Stil eines adligen Lustschlosses fertiggestellt. Auch eine passende barocke Parkanlage vor dem Gebäude ließ Brügelmann anlegen. Hinter der Fassade verbarg sich allerdings, für Schloßbauten ganz untypisch, neben den Wohnräumen der Familie auch ein Kontor, die organisatorische Schaltzentrale des gesamten Unternehmens.
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„Hohe Fabrik“. Foto: 2013
Seit 1795 erweiterte Brügelmann dann auch die Fabrikanlagen. Zunächst folgte die fünfstöckige ,,Hohe Fabrik“, nur ca. fünf Jahre später die nur wenige hundert Meter entfernte ,,Neue Fabrik“ in Obercromford, in denen jeweils eine Baumwollspinnerei eingerichtet wurde. Ebenfalls um 1800 kamen dann die Arbeiterwohnungen, die frühesten ihrer Art in Deutschland, sowie der Kontoranbau hinzu.

Nicht nur der Hauptfirmensitz in Ratingen wurde vergrößert. Vielmehr gründete Brügelmann auch in Städten wie Düsseldorf, Köln, Rheydt und sogar in München Zweig- und Nebenbetriebe: Baumwollspinnereien, Webereien, Färbereien, je eine Strumpfwirkerei und Zuckersiederei, außerdem Handelshäuser und -niederlassungen sowie Mühlen. Um 1800 verfügte das Unternehmen so über ein ganzes Netz von regionalen und Standorten (Breuer 1991, s. 286 f.). Brügelmanns Firmenpolitik war also einerseits gekennzeichnet durch Konsolidierung des Hauptwerks in Ratingen, zum anderen aber auch durch einen intensiven horizontalen und vertikalen Ausbau des Unternehmens in den Nebenbetrieben. G|eichzeitig stützte er seine Unternehmertätigkeit, indem er nach wie vor weiter als Händler, Kaufmann und Verleger tätig war. Brügelmann handelte und spekulierte mit den unterschiedlichsten Waren. In erster Linie verkaufte er seine eigenen Cromforder Produkte und die Waren, die er im Verlag hatte herstellen lassen: Game, Stoffe, Strümpfe und andere Strickwaren. Es war naheliegend, daß er außerdem die Materialien, die er für seine Spinnerei und Färberei benötigte, nicht nur für den Eigenbedarf kaufte, sondern auch vertrieb. Darüber hinaus unterhielt er einen lukrativen Handel mit Lebens- und Futtermitteln sowie Haushaltswaren. Nicht zuletzt waren Luxusartikel in seinem Angebot (Gemmert 1963, S. 293 f.).

Das gesamte Unternehmen war Ende des 18. Jahrhunderts ungemein vielfältig und erfolgreich. Brügelmann galt als aktiver, wenn nicht als der aktivste Unternehmer seiner Zeit, sein so breit angelegtes Unternehmen war außergewöhnlich umfang- und erfolgreich (Engelbrecht 1990, S. 139 ff.). In der Struktur jedoch war es für die Epoche der Frühindustrialisierung nicht ungewöhnlich. Vor allem die zeitgleiche Funktion als Kaufmann, Verleger und Fabrikant mit einem sehr vielseitigen Angebot war keineswegs selten. Die Schaffung eines zweiten oder dritten Geschäftszweigs war ein Prinzip der Risikostreuung und gerade für Brügelmann wichtig, da sein Privileg 1796 auslief und spätestens ab diesem Zeitpunkt mit großer Konkurrenz zu rechnen war. Frühzeitige Diversifikation war ein Mittel, seinen Vorsprung zu erhalten oder auszubauen (Riemann 1992, S. 305; Engelbrecht 1989). Erst im zweiten Drittel des 19.Jahrhunderts bildete sich der Typ des ,,Nur“-Fabri- kanten heraus, wie er später auch von Johann Gottfried Brügelmanns Enkel Moritz repräsentiert werden sollte. Dieser zog sich im Unterschied Zu seinem Großvater aus sämtlichen Warengeschäften und Verlagstätigkeiten zurück, verkaufte Ländereien und Zweigstellen und beschränkte sich auf die Produktion einer kleinen Produktpalette, bei allerdings großen Mengen.

Ein Unternehmer neuen Stils Johann Gottfried Brügelmann war nicht nur ein reicher Kaufmann und Textilproduzent, der auf neue Techniken setzte. Sein wirtschaftliches und politisches Handeln unterlag völlig neuen Regeln - Brügelmann repräsentierte den Typ des modernen Unternehmers.


Mit der allmählich einsetzenden Frühindustrialisierung gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstand auch im Bergischen Land eine neue Unternehmerschaft, die sich für wirtschaftspolitische Reformen stark machte. Wichtig erschien ihr die Abschaffung der althergebrachten Privilegien und Monopole, auch wenn sie diese - wie Brügelmann selbst - gelegentlich noch gern in Anspruch nahm. Die Fabrikanten setzten sich für Freihandel und Gewerbefreiheit ein. Darüber hinaus beanspruchten sie größere politische Mitsprachemöglichkeiten, entsprechend ihrem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status.


Brügelmann agierte mit seinen äußerst vielfältigen wirtschaftspolitischen Aktivitäten an der Spitze dieser Reformbewegung im Bergischen Land. Er war maßgeblich am Aufbau von durchsetzungsfähigen Interessenvertretungen beteiligt und fungierte gegenüber dem Staat als Sprecher der bergischen Wirtschaft. Kurz: Brügelmann versuchte, wann immer es möglich war, auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen (Engelbrecht 1989, S.119—141; ders,1990, S/131-143).


So gehörte Brügelmann zum Beispiel schon von Beginn an, seit 1785, zur Düsseldorfer "Handelsgesellschaft". Hier hatten sich erstmals die einflussreichen Kaufleute zu einer Interessenvertretung zusammengefunden, die als Vorläufer der Handelskammer zu sehen ist. Das Zentrum der vielfältigen Aktivitäten bildete die Förderung der Schifffahrt und der dafür erforderlichen Hafeneinrichtungen, um Düsseldorfs Anteil an der Rheinschiffahrt zu vergrößern (Müller 1992, S. 199 f.). Zu diesem Zweck übernahm Brügelmann die \/Verantwortung für die Organisation der Börtschiffahrt nach Holland. Andere Mitglieder waren zuständig für die Schifffahrt nach Köln, Frankfurt und Mannheim. Außerdem sollten die bestehenden Hafenanlagen ausgebaut werden. Die Gesellschaft richtete ein Lagerhaus sowie eine neue Schiffswaage ein und plante einen zweiten Rheinkran, eine Bank und eine Kaufmannsbörse (Müller 1992, ebd.).


1798 wählte die Gesellschaft einen "Handlungsvorstand", dessen Vorsitz wiederum Johann Gottfried Brügelmann übernahm. Dieses Gremium wurde beim Düsseldorfer Rat und bei der Regierung als politisch sehr brisant eingestuft, geriet es doch mit seinen Projekten, die alle eine wirtschaftsliberale Stoßrichtung hatten, nicht zu Unrecht in den Verdacht, das bestehende merkantilistische Wirtschaftssystem in Frage stellen zu wollen. Gerade um die Erweiterung der Hafenanlagen kam es zu erbitterten Streitigkeiten zwischen dem Magistrat der Stadt Düsseldorf und dem Handlungsvorstand.


So verwundert es kaum, dass die Organisation selbst immer wieder aufgelöst werden sollte und dass viele ihrer Projekte behindert oder erst im Lauf des 19. Jahrhunderts realisiert wurden. Unternehmer und aufgeklärter Bürger. Der wirtschaftliche Erfolg leitete Johann Gottfried Brügelmanns Interessen und Handeln. Doch er engagierte sich - wie viele seiner aufgeklärten Zeitgenossen - auch in kulturellen und sozialen Bereichen. Er war Gründungsmitglied der Lesegesellschaft in Elberfeld und stand den Freimaurern nahe. Beide Organisationen gehörten zu den Ende des 18. Jahrhunderts von interessierten Bürgerlichen und auch Adligen neu gegründeten, meist überständischen Vereinigungen, die ihnen endlich ein Forum boten zur gemeinsamen Lektüre, zu offenem Meinungsaustausch und zu politischen Diskussionen (Schmidt 1985, S. 141).


Außerdem unterstützte Brügelmann die Ratinger Schulen und das Düsseldorfer Armenwesen. In der 1800 neu gegründeten Armenversorgungsanstalt übernahm er als Oberaufseher die Leitung der Arbeitsanstalt. In dieser Funktion war er verantwortlich für das Arbeitshaus selbst, aber auch für die Verteilung und Verwaltung der in der Stadt vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten. Außerdem richtete er 1801 selbst im sogenannten Knabenhaus des Düsseldorfer Schlosses eine Spinnerei als Arbeitshaus ein, in dem er in diesem Jahr 73 Jungen beschäftigte (Riemann 1992, S. 305). Diese Aktivitäten sind einerseits auf christliche und auch karitative Motive Brügelmanns zurückzuführen. „Nachdem der Staat als Träger sozialfürsorgerischer Einrichtungen nicht mehr in Frage kam, waren es zunächst Privatleute oder vereinsmäßige Zusammenschlüsse \von engagierten Bürgern, die entsprechende Einrichtungen ins Leben riefen und betrieben. Sie waren in ihrer Tätigkeit bestimmt durch die Einsicht, daß man offenkundige Not und Verelendung großer Teile der Bevölkerung bekämpfen sollte.” (Riemann1992, S. 307 f.) Darüber hinaus blieb Brügelmann aber auch hier Kaufmann und Unternehmer, der nach kapitalistischen Prinzipien Gewinn zu machen suchte. Nicht zuletzt tragen all diese Aktivitäten - von der Elberfelder Lesegesellschaft bis zum Engagement in der Armenfürsorge deutlich sozialreformerische Züge; ganz dem Programm der Aufklärung verpflichtet, wollte Brügelmann zu gesellschaftlichen und staatlichen Reformen im Sinn des Bürgertums beitragen.





Die zweite Generation - Johann Gottfried jun. und Jakob Wilhelm Brügelmann

1802 starb Johann Gottfried Brügelmann. Als seine Erben setzten die beiden Söhne Johann Gottfried jun. (1776-1808) und Jakob Wilhelm (1777-1826) das Cromforder Unternehmen fort. Sie übernahmen die Geschäfte während der politisch und wirtschaftlich außerordentlich unsicheren Situation der Franzosenzeit im Rheinland. 1792 hatten die Revolutionskriege begonnen, in die unter Napoleon schließlich ganz Europa verwickelt wurde und die bis 1816 dauerten. Die Auseinandersetzungen der europäischen Monarchien mit dem ,,neuen“ Frankreich führten zu einer völligen Umgestaltung der territorialen Verhältnisse auf dem Kontinent, zu tiefgreifenden politischen Veränderungen, die letztlich den Untergang der alten feudalen Gesellschaftsordnung, des Ancien Régime, markierten.

Das Rheinland wurde schon 1794 unmittelbar in diesen großen Umwälzungsprozess hineingezogen. Die Franzosen besetzten zunächst die linksrheinischen Gebiete, ein Jahr später überquerten sie den Rhein und okkupierten auch das Bergische Land. Wirtschaftlich brachte der Krieg ebenfalls einen tiefen Einschnitt mit sich. Besonders durch die Besetzung der linken Rheinseite waren die wichtigsten traditionellen Handelsverbindungen zum Bergischen Land unterbrochen. Handel und Gewerbe kamen fast vollständig zum Erliegen. In dieser Krisensituation übernahmen die beiden Brügelmannsöhne die Cromforder Fabrik. In ihrer Firmenpolitik versuchten sie, bestmöglich auf diese Situation zu reagieren. Auf technische Neuerungen verzichteten sie bis in die 1820er Jahre fast vollständig. Vielmehr wurde mit den mittlerweile zwanzig Jahre alten Maschinen gesponnen.


Eindrucksvoll beschreibt ein zeitgenössischer Bericht den Niedergang der Firma: "In den Rheinisch-Westfälischen Provinzen sind schon früh Maschinen-Spinnereien von selbst entstanden; die erste zu Cromford bei Ratingen, unter Broegelmann, dem Vater, schon seit 1783. Mit denselben Maschinen, die von Würmern zerfressen, bei jedem Zuge auszufallen drohten, spann man noch im Jahr 1816.“ Die Maschinen waren technisch veraltet, und pro Maschine benötigte man mehr Arbeiter, als an den neueren Modellen notwendig gewesen wären. Anstatt aber in der Krisenzeit Arbeitskräfte einzusparen, brachte Jakob Wilhelm Brügelmann gegenüber dem preußischen Staatsrat Kunth ein anderes Argument vor: "B. behauptete, es sei vortheilhafter, kleine Maschinen zu halten und die Arbeiter nicht zu sparen, als umgekehrt; die Kinder kosteten nicht viel, etwa 9 Stüber täglich." (Bericht Kunths von 1816, in: Goldschmidt 1881, S. 219)


Die Spinnerei in Cromford stagnierte. Auch die meisten Zweigstellen, die der Vater gegründet hatte, wurden geschlossen, noch nicht realisierte Projekte fallengelassen. Johann Gottfried Brügelmann hatte zu Beginn der Franzosenzeit - wie viele seiner Kaufmannskollegen auch - versucht, Zweigstellen auf der linken, seit 1794 französisch besetzten Rheinseite zu gründen. Mit diesen Unternehmen verband Brügelmann die Hoffnung, die dem Bergischen Land in dieser Zeit verschlossenen französischen Märkte für die Cromforder Produkte zu öffnen. Seine Zweigstellen in Rheydt und Köln wurden von seinen Söhnen nun endgültig geschlossen, der Betrieb konzentrierte sich in Ratingen. Erwirtschaftetes Kapital investierten die Fabrikherren in Grund und Boden. Auch mit dieser Form der Unternehmenserweiterung und vor allem -stabilisierung hatte Johann Gottfried Brügelmann schon am Ende des 18. Jahrhunderts gezielt angefangen. In der näheren und weiteren Umgebung Ratingens hatte er begonnen ehemalige Rittersitze mit großen Ländereien aufzukaufen, nämlich Haus Böckum, Remberg und Gräfgenstein. Im Jahr 1818 besaß die Familie schließlich außerdem die ehemaligen Rittersitze Hausmannshausen, Diependahl, Hammerstein und Hahn, so dass sie neben den Grafen von Spee über den größten Grundbesitz in der Umgebung von Ratingen verfügte (Engelbrecht 1991, S. 65).


Außerdem engagierten sich beide Brügelmannsöhne in der Politik. Sie versuchten, durch enge Kontakte zu den jeweiligen neuen Machthabern Einfluss auf deren wirtschaftspolitische Entscheidungen zu nehmen. Und dies besonders in der Zeit des Großherzogtums Berg. Seit 1805, bis zur Niederlage der Franzosen 1813/14, gehörte das Bergische Land zu dem als Satellitenstaat neu geschaffenen Großherzogtum Berg, das von Napoleon zur Sicherung der französischen Grenzen gegen Preußen gegründet worden war. Dieser neue Staat sollte politisch und wirtschaftlich stark von Frankreich abhängig sein. Um die Verhältnisse im Großherzogtum den fortschrittlicheren Verwaltungs-, Rechts- und Sozialstrukturen des nachrevolutionären Frankreich anzupassen, begann Napoleon mit umfassenden Reformen. Diese hatten durchweg eine zentralisierende, egalisierende und adelsfeindliche Stoßrichtung und führten zu einer tiefgreifenden Umgestaltung der alten Verfassung und Organisationsstruktur des Landes.


In dieser Zeit wurde zuerst Johann Gottfried Brügelmann jun. 1808 Maire von Ratingen und Eckamp. Nach dessen Tod noch im gleichen Jahr übernahm sein jüngerer Bruder diese Position. Neben diesem Amt, das er bis zum Ende der Franzosenzeit innehatte, erhoffte sich Jakob Wilhelm Brügelmann allerdings unter diesen neuen Bedingungen offenbar eine größere politische Karriere. lm Dienst des Großherzogs Schon 1807 war Jakob Wilhelm Brügelmann nach Fontainebleau an den französischen Hof Napoleons eingeladen worden, wo er - selbst leidenschaftlicher Jäger - an der Jagd teilnehmen und vor allem politische Kontakte knüpfen konnte.


Über den Empfang bei dem Großherzog Joachim Murat, der, von Napoleon eingesetzt, das Großherzogtum Berg regierte, berichtete er nach Hause: "Der Großherzog Joachim Murat und seine Gemahlin haben mich außerordentlich gut aufgenommen, bei beiden habe ich öffentlich und privat Audienz gehabt." (WWA, Nr. 36-125-2). Etwas später schickt er einen weiteren Brief an seinen Bruder nach Cromford: "Ich habe Dir, glaube ich, noch nicht gemeldet, dass der Herzog mich zum Capitaine des chasses im arrondissement Düsseldorf ernannt hat, ich soll in dieser Eigenschaft (...) einen Plan zur Organisation der Jagden entwerfen.” An diese Ernennung knüpfte Jakob Wilhelm Brügelmann sogleich Hoffnungen auf einen baldigen politischen Aufstieg. „Wahrscheinlich werde ich binnen kurzem zum Etatsrat für die Commerzial-Angelegenheiten ernannt.“ (Ebd.) Zwar bekam Jakob Wilhelm Brügelmann am Ende die gewünschte Stelle als Etatsrat nicht. Allerdings zeigen diese Versuche zumindest, dass Brügelmann offenbar die Chance zur Teilnahme an der politischen Macht wahrnehmen und seine Kompetenz im Bereich der Wirtschaft einsetzen wollte. In den folgenden Jahren war er immer auch als Politiker aktiv, pflegte enge Kontakte zu der Regierung und versuchte, Einfluss auf die politischen Verhältnisse zu nehmen. Dies war um so wichtiger, als der Handlungsspielraum für Unternehmer im Großherzogtum Berg durch die französische Wirtschaftspolitik immer stärker eingeschränkt wurde (Reulecke, in: HerzogtumBerg1985, S. 24 f.).


Leben von der Substanz Die Franzosenzeit am Rhein endete 1813 nach der militärischen Niederlage und dem Sturz Napoleons. 1815 wurden große Teile des Rheinlands, darunter das Bergische Land, dem Königreich Preußen zugeschlagen. Obwohl für die Einführung der umfangreichen französischen Reformen nur acht Jahre Zeit gewesen waren, hatten sie schon in dieser Zeit einen Modernisierungs- und Entfeudalisierungsprozess in Gang gesetzt, der auch unter der restaurativen preußischen Regierung nicht mehr rückgängig zu machen war (Ebd., S. 33).


Mit Beginn der preußischen Ära stürzten viele Unternehmer erneut in eine tiefe Wirtschaftskrise. Zum einen litten sie noch unter den Folgen der langen Napoleonischen Kriege. Zum anderen spürten sie deutlich die Konkurrenz der englischen Produkte, die nach dem Ende des Wirtschaftskriegs und der Kontinentalsperre zwischen England und Frankreich auch den deutschen Markt überschwemmten. Hatte die Franzosenzeit schon zu einer enormen Belastung der bergischen Unternehmer geführt, mussten viele von ihnen jetzt ihre Fabriken schließen. Auch Cromford war von dieser Krise betroffen. Der Betrieb schloss 1818 für fünf Jahre, ging aber nicht Konkurs (Kermann 1972, S. 662).


Jakob Wilhelm Brügelmann und seine Schwägerin Sophie Brügelmann hatten in dieser Zeit für den Bestand des Besitzes zu sorgen—der eine in Obercromford, die andere in Untercromford. Nachdem ihr Mann Johann Gottfried jun. 1808 gestorben war, hatte Sophie Brügelmann, die auch aus der Wuppertaler Textilunternehmerfamilie Bredt stammte, seine Stelle in der Geschäftsleitung in Untercromford eingenommen. Gut vorbereitet auf ihre Rolle als Unternehmerin, leitete sie, wie in solchen Fällen üblich, stellvertretend für ihre drei noch minderjährigen Kinder die Geschäfte der Firma. Als versierte Geschäftsfrau stand sie an der Spitze des Unternehmens.


Sophie Brügelmann und Jakob Wilhelm Brügelmann sicherten den Firmenbestand, indem die verstärkt Geschäfte mit dem Grundbesitz der Familie tätigten: Sie kauften und verkauften gewinnbringend Land, verpachteten neu, trieben Hypotheken ein und wickelten Geldgeschäfte ab. Außerdem spekulierten sie mit Getreide, mit dem man in dieser Zeit hohe Gewinne erzielen konnte. Auf diese Weise gelang es, zumindest den Bestand der Firma zu sichern. Mit der Stabilisierung der politischen und der gesamtwirtschaftlichen Situation im Rheinland zu Beginn der 182Oer Jahre nahm auch die Firma Brügelmann wieder ihre Produktion auf (Engelbrecht 1991, S. 56 ff.).


Um wieder konkurrenzfähig zu werden, mussten die technisch völlig veralteten Fabrikanlagen modernisiert werden. Der Maschinenbestand wurde grundlegend erneuert (Harzheim 1995, S. 56 f.). Julius Brügelmann, der älteste Sohn von Sophie, stand in engem Kontakt mit der Maschinenbaufirma Harkort in Wetter, um gemeinsam neue Spinnmaschinen zu entwickeln und so viele- der an die Innovationen seines Großvaters anzuknüpfen. Auch die Einführung einer neuen Antriebstechnik - neue Wasserräder und Dampfmaschinen - wurde geplant. Die Geschäfte liefen wieder gut an, eine erste Modernisierung des frühindustriellen Betriebs gelang. Aber erst mit der völligen Umstrukturierung des Werks unter Moritz Brügelmann, der das Unternehmen 1837 von seiner Mutter Sophie übernahm, gelang auch der Anschluss an die in Deutschland einsetzende Industrialisierung.



Claudia Gottfried
Textilfabrik Cromford in Ratingen. Ein Rundgang

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Schaubild um 1900
Unmittelbar am Flüsschen Anger gelegen und eingebettet in einen alten englischen Landschaftspark, befindet sich eine der ältesten erhaltenen Industrieanlagen in Deutschland: die Textilfabrik Cromford in Ratingen. 1783/84 von dem Wuppertaler Kaufmann und Unternehmer Johann Gottfried Brügelmann gegründet, gilt sie heute als erste vollmechanische Baumwollspinnerei auf dem europäischen Kontinent. Fast vollständig ist die frühindustrielle Anlage aus dem späten 18. Jahrhundert erhalten: die fünfstöckige „Hohe Fabrik“ und das spätbarocke Herrenhaus Cromford – heute beides Gebäude des Museums, die „Alte Fabrik“, die schlichten Arbeiterwohnungen, das Kontor und das Radhaus, das einst das Wasserrad beherbergte.



Die "Alte Fabrik"

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„Alte Fabrik“ und Radhaus. Foto: 1996
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„Alte Fabrik“. Foto: 1996
Entlang der Cromforder Allee, rechts und links flankiert von Arbeiterwohnungen bzw. Kontor befindet sich die „Alte Fabrik“, ein Gebäude, das von dem Hofbaumeister Rutger Flügel 1783 errichtet worden war. Es ist ein schlichter, dreigeschossiger, weißer Bau mit Krüppelwalmdach. Ein typischer Zweckbau der Zeit, wie man ihn von Lagerhäusern, aber auch der Koster- und Kasernenarchitektur kennt. Er wurde auf den Fundamenten einer alten Mühle errichtet. Der Standort war günstig gewählt, konnte die Fabrik doch direkt an das bestehende Kanalsystem, abgeleitet von der Anger, angeschlossen werden.

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Graben und Radhaus, links die „Hohe Fabrik“. Foto: 1996
Steht man im Keller des dahinter liegenden Radhaus, kann man noch sehen, wie die Welle eines außen liegenden Wasserrades mit der „alten Fabrik“ verbunden war und diese mit Energie versorgte. In diesem Fabrikgebäude nahm Brügelmann die Produktion von maschinengesponnenem Baumwollgarn 1783/84 auf.

Geht man von der „Alten Fabrik“ durch den Tordurchgang auf den Hof, stößt man auf den zweiten Fabrikbau, die „Hohe Fabrik“.



Die "Hohe Fabrik"

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„Hohe Fabrik“. Foto: 1996
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Innenisometrie, „Hohe Fabrik“
Die „Hohe Fabrik“ wurde zwischen 1797 und 1802 errichtet. Es handelt sich um einen fünfgeschossigen Ziegelbau, der mit seinen großen Toren auf jeder Etage eher einem Speichergebäude denn einer Fabrik ähnelt. In diesem Gebäude ließ Brügelmann ebenfalls auf mechanischem Wege Baumwollgarn herstellen.

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Wasserrad, „Hohe Fabrik“
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Transmission und Wasserrad, „Hohe Fabrik“. Foto 2013
Betritt man den roten Ziegelbau der „Hohen Fabrik“, steht man vor einem mächtigen, hölzernen Wasserrad, das wie im 18. Jahrhundert über eine Transmission sämtliche Spinnmaschinen der Fabrik antreibt. Hier im Erdgeschoss liefert es der „Water Frame“, der ersten vollmechanischen Spinnmaschine, heute wieder die Energie. Von dieser Feinspinnmaschine, die von Richard Arkwright in England erfunden worden war, hatte der Unternehmer der Fabrik Johann Gottfried Brügelmann gehört. Und es gelang ihm durch Industriespionage, diese Maschine in Ratingen nachzubauen.

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„Water Frame“, „Hohe Fabrik“. Foto 2013
„Water Frame“, „Hohe Fabrik“. Foto 2013
Im ersten Stock der Fabrik steht zunächst der Rohstoff im Mittelpunkt: Woher stammt die Baumwolle? Wie kam sie nach Europa? Welchen Anteil hatten die frühindustriellen Fabriken am Sklavenhandel in Amerika? Dann schließen sich die Verarbeitungsschritte auf dem Weg zum fertigen Garn an. Es wird gezeigt, wie die Baumwolle geschlagen, gereinigt, kardiert, gestreckt und zu einem lockeren Vorgarn verdreht wird. Doch die Besucherinnen und Besucher erfahren nicht nur die Technik der Baumwollverarbeitung. Die Maschinen mit ihren scharfen Zähnen, offen laufenden Getrieben und Treibriemen erzählen auch von den Gefahren der Arbeit. Und der heute noch durch die Luft fliegende Baumwollstaub lässt ahnen, wie gesundheitsgefährdend das Arbeitsklima für die Beschäftigten war.



Radhaus und Kanalsystem

Überreste des Kanalsystems, Radhaus. Foto 2013
Begibt man sich wieder in das Erdgeschoss der Fabrik, kann man kurz vor dem Ausgang nach links ins Radhaus abbiegen. Dieses kleine Gebäude steht zwischen „Hoher“ und „Alter Fabrik“. Heute dient es als Garderobe des Museums. Im Keller kann man aber noch seine alte Funktion erahnen. Man steht inmitten des alten Grabensystems, von dem aus mit verschiedenen Antrieben die beiden Fabriken mit Energie versorgt wurden. Hier standen verschiedene Wasserräder, zunächst aus Holz, dann aus Eisen, die mal die „Alte“, mal die „Hohe Fabrik“ mit Energie versorgten. Und auch zu Zeiten, in denen die Produktion überwiegend mit der Dampfmaschine betrieben wurde, verzichtete das Unternehmen nie ganz auf das Wasser. Noch in den 1920er Jahren wurde hier eine doppelte Francis-Schacht-Turbine eingebaut, die die Fabrik und die umliegende Ortschaft mit Strom versorgte. Hinter dem Radhaus und der „Hohen Fabrik“ wurden Teile des alten Kanalsystems wieder ausgegraben, sodass man gut nachvollziehen kann, wie das Wasser der Anger in die Fabrikgebäude geleitet wurde.



Das Herrenhaus Cromford

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Herrenhaus Cromford. Quelle: LVR-Industriemuseum
Verlässt man die Fabrik und geht über den ehemaligen Fabrikhof, kommt man an den Hintereingang des Herrenhauses Cromford, das ehemalige Wohnhaus des Fabrikanten. Man betritt ein eher dunkles, zunächst wenig herrschaftliches Treppenhaus. Aber der erste Eindruck täuscht. Im Stil eines adligen Lustschlosses des Spätbarock gebaut, spiegelt das Herrenhaus in Ausstattung und Ausmaßen den Erfolg eines der erfolgreichsten Unternehmers seiner Zeit. Das Herrenhaus Cromford war die Schaltzentrale eines der bedeutendsten Unternehmen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts und gleichzeitig bürgerliches Wohnhaus einer der führenden Fabrikantenfamilien ihrer Zeit. Von hier aus leitete Johann Gottfried Brügelmann die erste mechanische Spinnerei außerhalb Englands und viele Zweigunternehmen, tätigte seine Geld- und Warengeschäfte mit der ganzen Welt.

Im Herrenhaus erleben die Besucherinnen und Besucher nun Ausschnitte aus der Lebenswelt der Brügelmanns aus drei Generationen zwischen 1782 und 1846. Die Ausstellung erzählt vom wirtschaftlichen Handeln in politisch unsicheren Zeiten wie auch von ganz privaten Dingen – den Lieblingsspeisen, der Jagd, Heiratsabsichten, dem Umgang mit den Dienstboten oder den Vorbereitungen eines Festes. Die Brügelmanns lebten in dramatischen Zeiten. Sie erlebten den Untergang des „ancien régime“, die Französische Revolution, den Aufstieg und Fall Napoleons und die Machtverteilung eines neuen Europa nach dem Wiener Kongress. Die einzelnen Biografien der Fabrikantenfamilie stehen für den Wandel des Bürgertums in diesen Zeiten der politischen und wirtschaftlichen Umbrüche. Auch die dritte Generation stellte um 1850 schließlich die Weichen für eine neue Zeit. Nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen der Familie Brügelmann hatten dabei entscheidenden Anteil am Erfolg des Unternehmens.

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Ausstellungsraum, Herrenhaus Cromford. Quelle: LVR-Industriemuseum
Über zehn neue Ausstellungsräume wurden auf der Basis neuer Untersuchungen museal eingerichtet. Sie präsentieren eine Möblierung, die auf die ursprüngliche Funktion der Räume verweist und einen Eindruck von der Zeit zwischen 1800 und 1850 vermittelt. Im ersten Stock erwartet die Besucherinnen und Besucher der repräsentative Höhepunkt des Hauses, der Gartensaal. Der fast kreisrunde Saal verläuft über zwei Stockwerke und ist an den Wänden mit klassischen Landschaftsmalereien bemalt. Große Spiegel und Konsoltische vervollständigen den herrschaftlichen Eindruck dieses Salons.



Umgebung

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Allee, Herrenhaus Cromford. Foto: 2013
Ein Gang durch die umliegenden Parkanlagen rundet den Besuch im Museum ab. Man flaniert durch den barockisierten Brügelmannpark vor dem Haus, weiter durch den Poensgenpark von 1902 bis zur Wasserburg „Haus zum Haus“, die wie ein Point de Vue schon weit sichtbar ist. Dann geht’s weiter durch den kleinen englischen Landschaftsgarten, den Cromfordpark, in dem sich auch eine kleine Grabstätte der Familie Brügelmann befindet. Von dort kann man zum Ausgangpunkt zurückgehen. Oder man schließt eine weitere Schleife an. Sie führt über die alte Bahntrasse der Fabrik (heute Museumsweg) bis zum Naturdenkmal „Blauer See“. Dieses gesamte Gelände gehörte ursprünglich auch mal zur Baumwollspinnerei Brügelmann. Dort befand sich mit der „Neuen Fabrik“ ein drittes Fabrikgebäude. Heute zeugen noch die alte Öl- und Farbmühle und das Herrenhaus Obercromford von dieser Geschichte.



Gestern und heute

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Ansicht um 1980
Über 200 Jahre lang wurde in Cromford Baumwolle verarbeitet. 1783/4 gegründet, erlebte die Fabrik einen rasanten Aufschwung. Trotz vielfältiger Krisen, zeitweiligem Stillstand oder Fremdnutzung – während des zweiten Weltkriegs wurde die Spinnerei umgenutzt für die Zünderproduktion – konnte sich die Firma halten, bis sie dann 1977 die Tore endgültig schloss. Im selben Jahr wurden große Teile der Fabrikerweiterungen des 19. Jahrhunderts abgerissen. Und auch der Abriss der „Hohen Fabrik“ war schon beschlossene Sache. Doch kurz vor dem Abriss wurde die frühindustrielle Anlage unter Denkmalschutz gestellt.

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Arbeiterwohnungen. Foto: 2013
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„Water Frame“, „Hohe Fabrik“. Foto 2013
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Feinkarde, „Water Frame“, „Hohe Fabrik“. Foto 2013
Die „Alte Fabrik“ und ein Teil der Arbeiterwohnungen wurden zu Eigentumswohnungen umgebaut. „Hohe Fabrik“, Radhaus und das Herrenhaus Cromford wurden aufwendig restauriert, museal eingerichtet und 1996 als Schauplatz Ratingen des LVR-Industriemuseums eröffnet. Hier wird am Beispiel der Geschichte Cromfords die Einführung des Fabriksystems in Deutschland thematisiert. Anhand von originalgetreu nachgebauten Spinnmaschinen lässt sich im Schaubetrieb die Herstellung von Baumwollgarn wie vor 200 Jahren vom Rohstoff bis zum fertigen Garn nachvollziehen.

Neben der Dauerausstellung finden in den drei oberen Etagen der „Hohen Fabrik“ regelmäßig Wechselausstellungen statt. Insbesondere Ausstellungen zur Kulturgeschichte der Bekleidung bilden einen wichtigen thematischen Schwerpunkt. Auf diese Weise werden immer wieder neue Ausschnitte der großen Kostüm- und Modesammlung des LVR- Industriemuseums präsentiert.




Unterhaltsame und erlebnisreiche Programmvielfalt

Ein umfangreiches museumspädagogisches Programm mit attraktiven Aktivitäten für Freizeit und Bildung ergänzen die Angebote der Dauer- und Sonderausstellungen. Führungen und Programme können für alle Altersstufen und Zielgruppen und zu unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten gebucht werden. Interaktive und handlungsorientierte Projekte und Ferienspiele für Kinder und Jugendliche sowie ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Vortragsveranstaltungen, Exkursionen und Konzerte für Erwachsene ergänzen das Angebot.

Auch das Feiern kommt in Ratingen nicht zu kurz. Kinder können aus den museumspädagogischen Angeboten wählen und sich ein Programm für ihren Geburtstag zusammenstellen. Und es ist schon Tradition, dass in jedem Jahr vor den Sommerferien ein großes Kinderfest im Park vor dem Herrenhaus gefeiert wird. Alle zwei Jahre findet im Sommer ein weiteres Highlight im Park statt: Das große „Cromford-Parkfest“ unter der Regie des sehr regen Fördervereins ("Freunde und Förderer des Industriemuseums Cromford e.V. in Ratingen"). Darüber hinaus nutzen Vereine, Firmen, Institutionen und Privatpersonen das Museum als Rahmen für ihre Veranstaltungen und Feste. Und im Sommer ist der Gartensaal ein beliebter Ort für standesamtliche Trauungen.




Der Ratingen Industriepfad

Die Industriegeschichte des Geländes, aber auch der Stadt Ratingen wird nach und nach durch den „Ratinger Industriepfad“ erschlossen. Die ersten neun Stelen stehen schon, weitere 40 werden folgen. Der Industriepfad versteht sich nicht nur als historischer Rundweg, sondern beinhaltet auch die neu entstandenen Industriekomplexe wie z. B. die Ansiedlungen entlang der Bahnlinie auf dem ehemaligen Balke Dürr Gelände in Ratingen Ost. Neben heute noch erlebbaren Anlagen werden auch die aus dem Stadtbild verschwundenen, z. T. kaum mehr bekannte Industrien wie die Bergbauanlagen in Ratingen-Lintorf mit einbezogen.


Literatur

• Antrieb und Spannung. 250 Jahre Industriegeschichte in Ratingen, LVR-Industriemuseum Ratingen (Hg.), Ratingen 2010

• Bolenz, Eckhard: Johann Gottfried Brügelmann. ein rheinischer Unternehmer zu Beginn der Industrialisierung und seine bürgerliche Lebenswelt, Pulheim 1993

• Cromford 1949. eine Fotodokumentation kommentiert von Zeitzeugen: Kaminsky, Uwe; Karabaic, Milena; Pulheim 1993

• Cromford Ratingen. Lebenswelten zwischen erster Fabrik und Herrenhaus um 1800; Begleitbuch zur Dauerausstellung, LVR-Industriemuseum (Hg.), Ratingen, LVR-Industriemuseum, 2010

• Die erste Fabrik, Ratingen-Cromford, Rheinisches Industriemuseum (Hg.), Pulheim 1996

• "Die öde Gegend wurde zum Lustgarten umgeschaffen ...": zur Industriearchitektur der Textilfabrik Cromford 1783 – 1977: Frings, Cornelia; Köln Pulheim: Rheinland-Verlag, Bonn: Habelt Verlag, 1991

• Gemmert, Franz-Josef: Die Entwicklung der ältesten kontinentalen Spinnerei, Leipzig 1927

• Gottfried, Claudia: Der Gartensaal im Herrenhaus Cromford. Repräsentation einer Fabrikantenfamilie um 1800, Pulheim 1998

• Harzheim, Gabriele: "Treffliche von Wasser getriebene Spinnmaschinen“. eine Dokumentation der Technik des Baumwollspinnens am Beispiel der Firma Johann Gottfried Brügelmann in Ratingen, 1780 – 1830, Pulheim 1995