Schirmfabrik Dietz & Co. vormals Crawattenfabrik v. Haasen & Oppenheimer
Steinstraße 76, Krefeld




Stephan Strauß
Schirmfabrik Dietz & Co. vormals Crawattenfabrik v. Haasen & Oppenheimer

Im ausgehenden 19. Jahrhundert war Krefeld bereits deutlich über den Westwall und damit über den rechtwinkligen Stadtgrundriss nach dem Vagedes-Plan von 1815 hinausgewachsen. Inmitten eines rechtwinkligen Straßenrasters waren hier um 1900 jedoch noch Lücken; in einer derartigen Lücke entstand 1899 die „Crawattenfabrik v. Haasen und Oppenheimer“.

Das in die Blockrandbebauung eingebundene Fabrikgebäude zeigt eine repräsentative dreigeschossige Straßenfassade im Duktus der Neorenaissance, deren Architekt oder Bauunternehmer nicht überliefert ist. Die sieben Fensterachsen sind fast symmetrisch anlegt, lediglich die Einfahrt an der rechten Seite und das darüber liegende Fenster durchbrechen die Symmetrie. Die Fassade mit gelbem Sichtklinker ist aufwändig mit Werksteinen geschmückt und geschossweise differenziert: im Erdgeschoss mit eher einfach verzierten Rundbogenfenstern, im 1. Obergeschoss jedoch mit einer Werksteineinfassung mit steinernem Sturz, bogenformig überwölbtem Zwillingsoberlicht und gerader Verdachung, über der ein Segmentbogen liegt. Dieser Segmentbogen allein verdeutlicht bereits den hohen Aufwand der Fassadengestaltung: konstruktiv erforderlich, um die Werksteinverdachung vor einer Belastung durch das auflagernde Mauerwerk zu schützen, ist es mit Werkstein-Bogenanfängern und einem prismatisch vortretenden Schlussstein sehr sauber und prägnant gefügt. Die Fensterrahmungen des 2. Obergeschosses sind denen des 1. Obergeschosses ähnlich, jedoch mit einem geschweiften oberen Abschluss. Die beiden seitlichen Fenster des 2. Obergeschosses setzen einen besonderen Akzent, als dreiteiligen Fenster mit einem runden mittigen Oberlicht. Die Fassade tritt in der seitlichen Fensterachse, die die Straßenfront beiderseits an den seitlichen Brandwänden abschließt, um Ziegelstärke vor und dürfte hier turmartig überhöht gewesen sein – das Gesims in der Dachebene ist noch erhalten.

Der Grundriss der Schirmfabrik ist T-förmig und umfasst neben dem Bauteil an der Straße ein rechtwinklig in das Blockinnere reichendes Hinterhaus. Historische Aufnahmen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts zeigen die gestapelten Fabrikationsräume der damaligen Krawattenherstellung (Stadtarchiv Krefeld, Sign. 55/537). Dieser Bautyp ist auch in der denkmalgeschützten ehemaligen Krawattenfabrik Audiger & Meyer am Deutschen Ring 89/91 zu finden – dort ebenfalls mit zwei Treppenhäusern im Vorderhaus und gestapelten Werksälen mit einer mittigen Stützenreihe, im obersten Geschoss sogar stützenfrei.

Die Geschichte der Unternehmer, die in diesem repräsentativen Fabrikationsgebäude tätig waren, wirft ein besonderes Schlaglicht auf das Schicksal der jüdischen Textilunternehmer in Krefeld. 1913 ist es noch das Geschäftslokal von v. Haasen & Oppenheimer, als Inhaber ist ein August Uter genannt, der lt. Adreßbuch der Stadt Krefeld 1913 in der parallel verlaufenden Hubertusstraße wohnte. In den 1920er-Jahren produzierte hier die Krawattenfabrik Gebr. Müller, die den beiden jüdischen Unternehmern Rudolf Müller und Max Harf gehörte. Ihnen baute der Krefelder Architekt Josef Janßen 1927/28 in der gehobenen Wohnlage der Hohenzollernstraße zwei repräsentative Wohnhäuser (Nr. 43 und Nr. 79). Ihr Schicksal (und das ihres Unternehmens) hat Claudia Flümann in ihrer herausragenden Studie zur Arisierung in Krefeld dargestellt: 1938 übernahmen die seit 1906 im Unternehmen beschäftigen Mitarbeiter (und NSDAP-Parteimitglieder) Ernst Schloot und August Botschen das Unternehmen als geschäftsführende Gesellschafter. Beide sind nur zu 5% am Gewinn beteiligt, die Kapitalgeber und Hauptkommandisten wechseln, ehe Ende 1940 der Duisburger Heinrich Dietz die Firma übernahm. Dieser hatte zuvor bereits mehrere jüdische Textilbetriebe in Königsberg und Berlin arisiert und stellte die Produktion zunächst von Krawatten auf Wehrmachtsbedarf wie Wollwesten und Fausthandschuhe um. 1943 wurde ein weiterer, ebenfalls aus einer Arisierung hervorgegangener Betrieb in der Steinstraße 76 ansässig: Das Unternehmen Kremershof & Nölte war 1938 mit Einrichtung der Krawattenfabrik Josef Gompertz gestartet und in deren Räumen 1943 ausgebombt worden. Sie produzierte lt. Krefelder Adressbucheinträge noch Ende der 1960er-Jahre in der Steinstraße, während die von Heinrich Dietz nach 1945 betriebene Schirmfabrik in den 1960er-Jahren die Produktion einstellte. Die durch die beiden Prokuristen betriebene Krawattenfabrik Schloot & Botschen KG ist nur kurz, bis Anfang der 1950er-Jahre und parallel zu den beiden genannten anderen Unternehmen in der Steinstraße 76 ansässig. Rudolf Müller und seine Frau Sophie konnten sich nicht vor der Verfolgung durch das NS-Regime retten. Beim Novemberprogrom 1938 hatten Krefelder SA-Männer das Wohnhaus der Familie in der Hohenzollernstraße überfallen und verwüstet, 1939 emigrierten beide in die Niederlande, von wo sie 1943 in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und ermordet wurden. Ihre beiden Söhne Kurt und Erich hingegen überlebten, auch Max Harf und seine Frau Emilie hatten es in die USA geschafft. Einen Ausgleich für ihr zwangsveräußertes Wohnhaus erhielt die Familie Harf erst 1955, für den beraubten Firmenwert erhielten die Erben Müller und Harf sogar erst 1963 eine Entschädigung.

Das Gebäude an der Steinstraße 76 wurde in den 2000er-Jahren zu einem Mehrfamilienhaus, für dessen Ausführung die Fa. Schleiff, Erkelenz den Denkmalpreis der Stadt Krefeld erhielt.

Stephan Strauß, Historische Bauwerke GbR / Krefeld + Bremen

Literatur:

Schwanke, Hans-Peter: Architekturführer Krefeld. Krefeld 1996, S. 208.

Flümann, Claudia: „... doch nicht bei uns in Krefeld!“. Arisierung, Enteignung, Wiedergutmachung in der Samt- und Seidenstadt 1933 bis 1963 (Krefelder Studien 15). Krefeld 2015.

Frölich, Nadja: Leben und Werk des Krefelder Architekten Josef Janssen (1895-1972), in: Denkmalpflege im Rheinland, Jg 36, 2019, S. 16-28.

Strauß, Stephan: Wirtschaftsbürgerliches Wohnen in Krefeld 1900-1940, in: Christiane Lange, Anke Blümm (Hg.): Bauhaus und Textilindustrie. München 2019, S. 220-265.