Tapeten- und Wachstuchfabrik
Heeder & Co.

Virchowstraße 130, Krefeld




Stephan Strauß
Tapeten- und Wachstuchfabrik Heeder & Co.

Die Textilindustrie ist zu einem gewissen Grad von der Mode abhängig und gleicht darin u.a. der Tapetenindustrie, mit der sie auch die Verwendung von Druckverfahren gemein hat. Man könnte die gedruckte Tapete auch als preiswerten Ersatz für die hochwertige textile Wandbespannung ansehen. Vielleicht waren deshalb im frühen 20. Jahrhundert gleich zwei große Tapetenhersteller in Krefeld tätig.

Wie sehr stadthistorische Erinnerung auch an eine bauliche Überlieferung gebunden ist, zeigt sich darin, dass der Name Heeder & Co. vielen Krefeldern (und darüber hinaus) ein Begriff ist, während der zweite Hersteller Hinderer, Thomas & Co. (an der Schönwasserstraße 2) nur noch Fachleuten der Papierindustriegeschichte bekannt sein dürfte.

Um die Jahrhundertwende bildete die erhöht liegende Bahntrasse im Süden Krefelds eine merkliche Barriere für das stadträumliche Wachstum. Lediglich entlang der Kölner Straße, die südwärts zur Gemeinde Fischeln führte, war bereits eine straßenbegleitende Bebauung entstanden. Die Südseite des Bahnhofs war um 1900 eine Rückseite – mit einer Eisenbahnwerkstätte und dazugehörigen Gleisanlagen. Die von der Kölner Straße ostwärts abzweigende Ritterstraße und Virchowstraße waren noch kurze Stichstraßen, das Areal noch von dem Bäkerpfad gequert – offenbar nicht mehr als ein vor den Toren der Stadt verlaufender Weg (Stadtarchiv Krefeld, Stadtplan um 1890, Sign. 35/99).

In diesem Bereich, der in einem um 1890 gezeichneten Stadtplan bereits als künftiges Siedlungsgebiet von einem vorgesehenen Straßennetz durchzogen war, sollen bereits 1860 Franz-August Heeder und Wilhelm Niemann eine Tapeten- und Wachstuchfabrik begründet haben, unter der Geschäftsadresse Bäkerpfad 1, heute Virchowstraße 130. 1882 trat David Devries als Mitgesellschafter in das Unternehmen ein, das 1888 aufgelöst und im Dezember 1889 am selben Standort durch Devries neugründet wurde.

Den Namen Heeder & Co. behielt Devries bei. Das wachsende Unternehmen errichtete 1906 am angestammten Platz das prägnante Fabrikgebäude, das die Erinnerung an die Tapetenfabrik wachhält: Als Architekten beauftragt Devries das Büro Girmes & Oedinger, die seit 1892 durch ein breites Bauschaffen auf hohem gestalterischem Niveau bekannt geworden waren.

Der präganten Eingangsfassade des blockhaften Fabrikbaus ist heute ein weiter Platz mit dem sperrigen Namen „Platz der Wiedervereinigung 3. Oktober 1990“ vorgelagert, man sieht sie bereits in der Ferne, wenn man aus der gläsernen Halle an der Südseite des Krefelder Hauptbahnhofs tritt. 1906 standen dort (anstelle des Glasbaus) nicht nur die erwähnten Bauten der Eisenbahnwerkstätte, auch Ritterstraße und Virchowstraße wurden nach und nach beidseitig bebaut, die Tapetenfabrik nur im Straßenraum der Virchowstraße sichtbar.

ie Entscheidung, den Fabrikbau Heeder & Co. zu einer weithin sichtbaren Platzfront zu machen ist dennoch gut nachzuvollziehen: Girmes & Oedinger gestalteten die dreigeschossige Fassade repräsentativ und geschmackvoll, mit einem leicht erhöhten und um Ziegelstärke vortretenden Mittelteil sowie hochwertigem Bauzier, das an die Wiener Sezession erinnert. Links des dreiachsigen Mittelteils sind vier Achsen, rechts fünf Achsen, daran anschließend jeweils eine ebenfalls um Ziegelstärke vortretendes weitere Achse. Die Gliederung erinnert an die Fabrikschlösser des 19. Jahrhunderts, der Verzicht auf eine Symmetrie macht die Fassade jedoch spannungsvoll. Im erhöhten Erdgeschoss (über dem ebenfalls großzügig belichteten Sockelgeschoss) liegen Rundbogenfenster, darüber sind die Fenster zu doppelgeschossigen Elementen verbunden, die durch ein Spitzbogenbrüstungsfries aus glasierter Keramik (in weiß und grün) getrennt sind. Weitere keramische Gliederungen, der hellrote Ziegel und einzelne weiße Putzbereiche – etwa die Rahmung der Erdgeschossfenster des Mittelteils – schaffen eine für die Zeit hochmoderne Gestaltung, umgesetzt als Stahlbetonbau.

Die Aufteilung der zusammenhängenden Geschossfläche entsprach der äußeren Befensterung, die sich an den Schmalseiten fortsetzte, jedoch nur bedingt: Die Büroräume nahmen nicht die gesamte Straßenfront der Virchowstraße ein, die dahinter liegenden ungeteilten Fabrikationsflächen wurden durch einen außermittig eingeschnittenen Lichthof belichtet.

In den 1920er-Jahren florierte das Unternehmen Heeder & Co. unter Karl Devries, der seinem 1912 verstorbenen Vater nachgefolgt war, aber seinerseits 1928 verstarb. Die Familie wohnte nicht am Werk, sondern am Alexanderplatz: Karl Devries wohnte in der Nr. 10, sein Sohn und Unternehmensnachfolger Kurt Devries (* 1904) in der Nr. 5, dem Haus seines Großvaters David Devries.

Der Wechsel in der Unternehmensleitung hatte, zusammen mit der Weltwirtschaftskrise und der resultierenden Krise auch in der Konsumgüterindustrie der Tapetenherstellung, für Heeder & Co. starke Umsatzeinbußen zur Folge. Auch der Umstand, dass Heeder & Co. als jüdisches Unternehmen galt, dürfte in den späten 1930er-Jahren nachteilig gewesen sein. Claudia Flümann sieht in ihrer wichtigen Studie zur Arisierung in Krefeld (siehe Literatur) entsprechend mehrere Faktoren, die zur Liquidierung des Unternehmens 1938 führten. 1934 hatte die Familie bereits ihr Haus an der Lutherstraße 23, 1935 das Haus Alexanderplatz 10 veräußert; Karl Devries’ Witwe Luise war schon 1936 ihrem 1933 nach Palästina emigrierten Bruder Max Weinberg gefolgt. Auch Kurt Devries entkam der Verfolgung, durch Emigration nach Kolumbien, wo er 1963 starb.

Das Fabrikgebäude Heeder & Co erwarb die Wellpappen- und Kartonagenfabrik Fritz Peters & Co., Flümann zufolge zu einem Bruchteil des steuerlichen Einheitswerts. Der ursprünglich bei einer Remscheider Papierfabrik beschäftigte Fritz Peters hatte im Oktober 1938 die bedeutende Krefelder Kartonagenfabrik Ernst und Otto Meyer erworben – im Wege der Arisierung, wie Claudia Flümann ausführt. Fritz Peters & Co. erweiterten das 1906 erbaute Fabrikgebäude in östlicher Richtung und produzieren an diesem Standort bis Mitte der 1970er-Jahre. Das prägnante Bauwerk wird in den 1980er-Jahren von der Stadt Krefeld zum Kulturzentrum umgebaut und ist seither als Fabrik Heeder fester Bestandteil der regionalen Kunst- und Kulturszene.

Stephan Strauß, Historische Bauwerke GbR / Krefeld + Bremen

Literatur:

Ostrowski, Burkhard / Schippkus, Reinhard: Heeder & Co. Zur Geschichte eines Krefekder Fabrikgebäudes und seiner Umgebung. PoD 2019.

Schwanke, Hans-Peter: Das Werk der Krefelder Architekten Girmes & Oediger 1892-1933. Krefeld 1987, S. 648-653.

Flümann, Claudia: „... doch nicht bei uns in Krefeld!“. Arisierung, Enteignung, Wiedergutmachung in der Samt- und Seidenstadt 1933 bis 1963 (Krefelder Studien 15). Krefeld 2015, u.a. S. 122-123.

Ostrowski, Burkhard / Schippkus, Reinhard: Kurt Devries’ Auswanderung nach Kolumbien, in: Die Heimat Jg. 85, 2014, S. 64-73.