Tuchfabrik Müller
Euskirchen-Kuchenheim, Carl-Koenen-Straße 25
Detlef Stender
Die Tuchfabrik Müller in Euskirchen-Kuchenheim


Gebäude und Geschichte

Die Gebrüder Fingerhut, die eine neue Papiermühle errichten wollten, erstanden um 1800 eine Getreidemühle am Erftmühlenbach in Kuchenheim bei Euskirchen – und damit das Recht, an dieser Stelle die Wasserkraft mit einem Gefälle von 342 cm zu nutzen. Die Lage, nicht das alte Mühlengebäude war für sie interessant. Die Getreidemühle wurde abgerissen und an ihrer Stelle 1801 eine viermal größere Papiermühle gebaut.

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1801 erbautes Gebäude für die Papiermühle Fingerhut mit Umbauspuren durch die später dort integrierte Tuchfabrik. Foto 1980
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Tuchfabrik Müller nach Umbau zum Industriemuseum. Foto 2010
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Wassergraben, ursprünglich mit Wasserrad, später genutzt zum Antrieb einer Wasserturbine. Foto 2010
Das geräumige Mansard-Walmdach des Neubaus mit den schmalen Fensterbändern ist typisch für Papiermühlen, beherbergte es doch zwei große Trockensäle, in denen auf Holzgestellen die Papiere zum Trocknen aufgehängt wurden. Die Mühle hatte ein großes Wasserrad, dessen Standort im jetzigen Turbinenraum der Tuchfabrik durch ein rundes Steingewände und den Mauerdurchbruch für die Welle des Rades noch nachvollziehbar ist. In dem neu errichteten Gebäude waren technische Erfordernisse, Betriebsorganisation und Gebäudeform perfekt aufeinander abgestimmt. Es entsprach den typischen Bauformen großer Papiermanufakturen der Zeit um 1800.

In der baugeschichtlichen Entwicklung bewegt sich die Mühle zwischen zwei Formtypen: Auf der einen Seite stehen die Manufakturbauten des frühen 18. Jahrhunderts, die sich an großen, repräsentativen Gebäuden, insbesondere Palaisbauten orientierten und sich durch massive, gefällige Baukuben, Mansarddächer, symmetrische Grundrisse und Fassaden auszeichneten. Auf der anderen Seite hatte sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ein neuer Stil  herausgebildet, der den technischen Anforderungen größeren Stellenwert einräumte. Die Kuchenheimer Anlage zeigt in der grundlegenden Bauform und den massiven und geputzten Wänden (statt Fachwerk) Anlehnungen an den älteren Stil; mit der beträchtlichen Gebäudehöhe, dem fehlenden Dekor, dem Wasserrad, der Ladeluke, dem unsymmetrischen Grundriss, dem Fehlen aller Treppen etc. allerdings auch deutliche Anklänge an die moderne, technische Gebäudeform. Die L-Form des Gebäudes ist für Mühlen, Manufakturen und Fabriken nicht ungewöhnlich. Diese Form greift möglicherweise auf Anregungen bäuerlicher Höfe zurück, die einen gefassten, geschützen, überschau­baren Raum bieten.

Die neue Papiermühle produzierte Pack- und Löschpapier, vor allem aber feines Schreibpapier und war mit ihren drei Bütten die wohl größte Papiermühle im Rhein- und Mosel­departement sowie eine der größeren ganz Deutschlands. Sie beschäftigte zwischen 30-40 Arbeiter, darunter anfänglich auch ein Dutzend Kinder. Die Jahresproduktion belief sich auf etwa drei bis vier Millionen Bögen. An den drei Bütten hatten die Büttgesellen bei ca. 300 Arbeitstagen im Jahr pro Tag jeweils 3.000 bis 4.500 Papierbögen zu schöpfen.

Um 1840 geriet der Betrieb in einen Strudel verschiedener Schwierigkeiten, die letztlich 1843 zur Aufgabe des Papiermühlenbetriebs „wegen Mangel an Absatz“ führten. Die neuen Besitzer richteten in dem Gebäude eine Wollspinnerei und -wäscherei ein, unter den nachfolgenden Eigentümern entwickelte sich der Betrieb zu einer Tuchfabrik mit verschiedenen Produktionsabteilungen. Zwei wesentliche bauliche Ergänzungen fallen in diese Jahre: 1860 schaffte der Unternehmer die erste Dampfmaschine und den zur Dampferzeugung nötigen Kessel an. Diese stehende Balancier-Dampfmaschine leistete 16 PS, war eine Hilfsmaschine zur Unter­stützung des Wasserrades und die erste Dampfmaschine in Kuchenheim überhaupt. Mit der Dampfmaschine entstand der Kern des einfachen Südanbaus, der bis nach der Jahr­hundertwende immer wieder erweitert und verändert wurde.

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Schaubild der Gesamtanlage mit dem später zugefügten Wohnhaus der Werksbesitzer
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Dampfmaschine. Foto 2010
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Kessel zur Versorgung der Dampfmaschine mit Dampf. Foto 2010
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Shedhalle mit Spinnmaschinen. Foto 2010
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Luftbild der Gesamtanlage um 1980
Der Ausbau der Spinnerei zur Tuchfabrik, die nicht mehr die lokalen Weber mit Garn, sondern zahlreiche Kunden im ganzen Land mit Tuch belieferte, machte ein Kontor und Tuchlager erforderlich. Aus diesen Gründen wurde 1867 ein neues Gebäude errichtet, in dem ein Kontor, ein Tuchlager und – im Dachgeschoss – auch ein Wolllager untergebracht wurden. Nur kurze Zeit darauf baute der Unternehmer an dieses Gebäude ­ein Wohnhaus an­, das notwendig wurde, weil er sich seit Anfang der 1860er Jahre selbst stärker um den Betrieb kümmerte und daher in Kuchenheim öfter präsent war. Dieses Wohnhaus ist im Vergleich mit anderen Unternehmer­wohnhäusern bzw. Villen ausgesprochen klein und bescheiden und übernahm einfach die schlichte Architektur des Kontors und Tuchlagers.

1894 ersteigerte Ludwig Müller die Fabrikgebäude und das zugehörige Grundstück und richtete den Betrieb als Volltuchfabrik mit neuen Maschinen ein, von denen heute noch ein Großteil erhalten ist. Von der Wolle bis zum fertigen Tuch waren alle Arbeits­schritte in den eigenen Räumen versammelt: Wolfen, Krempeln, Spinnen, Zwirnen, Weben, Walken, Waschen, Färben, Trocknen, Rauen, Schneiden, Pressen, Dekatieren. Produziert wurde – wie in vielen anderen Tuchfabriken in Euskirchen – Wolltuch aus Streichgarn, ein strapazier­fähiger, gewalkter und angerauter Stoff. Der größten Nachfrage erfreu­ten sich Eifel-, Wetter-, Jagd- und Damenloden. Müller gelang es 1906 zudem Lieferant für das Heer und 1911 für die Marine zu werden. So nahm die Uniformtuchproduktion – vor allem in den beiden Weltkriegen – einen erheblichen Umfang an.

1922 wurde der letzte Anbau in der Fabrik-Geschichte errichtet: eine moderne Shedhalle, in der die Spinnerei Platz fand. 1929 starb Ludwig Müller. Die Firmenleitung lag danach in den Händen seines Sohnes Kurt Müller, der den Betrieb bis 1961 ohne größere Modernisierungen weiterführte, dann aber wegen Auftragsmangel schließen musste.  In der Hoffnung, noch einmal produzieren zu können, pflegte er zunächst das Inventar und den Maschinen­park.

In der Fabrik blieb daher die Situation zur Zeit der Betriebs­schließung von 1961 bis in die 1980er Jahre völlig unberührt erhalten: alle Produktionsräume mit ca. 60 Großmaschinen, Dampfkessel und Dampfmaschine, die Trans­missions­anlage, das Gewirr der Dampf- und Elektroleitungen, sämtliche Werkzeuge und Materialien. Manche Maschinen waren sogar noch mit Material bestückt. Das Gebäude versank in eine Art Dornröschenschlaf: Über das ganze Inventar legte sich eine Schicht von Staub, Flugrost und Spinnenweben.

Anfang der 1980er Jahre erkannten Denkmalpfleger die außerordentliche Bedeutung der Fabrik als Denkmal der Sozial-, Wirtschafts- und Technikgeschichte. Wenig später erfolgte die Unter­schutzstellung als Denkmal und schließlich die Übernahme durch den Land­schaftsverband Rheinland mit dem Ziel, die komplette Fabrik in ein Museum für Industrie- und Sozialgeschichte zu verwandeln. Da die Dächer nicht mehr dicht bzw. kurz vor dem Zusammenbruch waren und eine Heizung fehlte, gab es erhebliche Schäden am Baukörper und am Inventar.


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Webmaschinen im Obergeschoss des Hauptgebäudes. Foto 2010
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Erdgeschoss Hauptgebäude. Foto 2010
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Dachgeschoss Hauptgebäude. Foto 2010
Dokumentation

Vor den eigentlichen Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten wurde zunächst eine gründliche Dokumentation des Fundzustandes der Fabrik erstellt. Dies war erforderlich, weil die Bauarbeiten selbst in die historische Bausubstanz eingreifen und diese – zum Teil – notgedrungen verändern würden. Die Dokumentation umfasste verschiedene Arbeitsbereiche:

- Erfassung und Inventarisierung aller Objekte der Fabrik
Die Inventarisierung beinhaltete u.a. eine Identifikation und Benennung der Objekte, die Vergabe einer Inventarnummer sowie die Erfassung des Fundortes und des Zustandes. Es wurden insgesamt über 5.000 Nummern für einzelne Objekte und zusammenhängende Objektgruppen vergeben. Zugleich erfolgte eine vollständige fotografische Dokumentation des Fundzustandes des gesamten Gebäudes und Inventars.

- Dokumentation der Arbeit
Für jeden Raum und für jeden Bereich wurden akribisch die einzelnen Arbeitsschritte erforscht und rekonstruiert. Neben der Heranziehung von historischer Fachliteratur beruht diese Dokumentation vor allem auf Interviews: Die ehemaligen Beschäftigten gaben Auskunft über ihren Arbeitsplatz, zum Betriebsklima und zum Ablauf eines typischen Arbeitstages. Alle Interviews liegen transkribiert vor und sind durch ein über 140-seitiges Schlagwortregister erschlossen. Auf diese Art und Weise ist eine Art „Enzyklopädie“ der Arbeit in der Tuchfabrik entstanden, die die vielen Maschinen und Inventarteile erst verständlich macht, ihre Funktionsweise klärt und die Arbeitssituation, -anforderungen und -belastungen im Betriebszusammenhang deutlich macht.

- Maschinenforschung
Während sich die Dokumentation der Arbeit des Instrumentariums der Sozial- und Alltagsgeschichte bediente, erfolgte daneben eine präzise Erfassung, Beschreibung und Einordnung der ca. 60 Großmaschinen unter technischen bzw. technikhistorischen Gesichtspunkten. Dabei entstanden ausführliche ‘Biografien’ der Maschinen, die auch die Geschichte der Anschaffung sowie alle Veränderungen, Standortwechsel, Improvisationen und Gebrauchsspuren benennen. Zugleich machte die Maschinenforschung Aussagen über den Erhaltungszustand der Maschinen. Davon ausgehend wurden später die konkreten Restaurierungs- und Reaktivierungsmaßnahmen entwickelt.

- Bauforschung
Da die Tuchfabrik immer als Gesamtensemble von Inventar und Gebäude verstanden wurde und wird, legte das Forschungsprojekt auch großen Wert auf die genaue Erfassung des Baubestandes. Es erfolgte eine fotografische und fotogrammetrische Erfassung des Gebäudes und seines Zustandes in verzerrungsfreien CAD-Plänen.


Restaurierungsziel: gepflegter Gebrauchszustand

Auf der Grundlage dieser Forschungsarbeiten – mit dem genauen Wissen über den Funktions- und Arbeitszusammenhang Tuchfabrik – konnten dann das Museumskonzept und damit korrespondierend die Restaurierungsziele entwickelt werden. Der Grundgedanke dieses Konzeptes war es, die Fabrik in ihrem einzigartigen Gesamtzusammenhang vollständig zu erhalten und den historischen Bestand nur sehr zurückhaltend und unmittelbar objektbezogen zu erläutern und zu ergänzen. Als Grundbedingung für dieses Konzept wurden zwei wesentliche Entscheidungen getroffen:

- Alle modernen Funktionen und Bedürfnisse des Museumsbetriebs – Kasse, Laden, Cafeteria, Räume für Sonderausstellungen, Veranstaltungen, Museumspädagogik, Verwaltung und Werkstätten, die Haustechnikzentrale und die Hausmeisterwohnung – fanden nicht in dem historischen Gebäudeensemble der Tuchfabrik, sondern in einem Neubau mit 1900 m² Nutzfläche auf dem benachbarten Gelände Platz.

- Die Tuchfabrik ist nur mit Führungen zugänglich. Diese Einschränkung, die zunächst auf Grund der geringen statischen Belastbarkeit erzwungen wurde, ermöglichte es auf der anderen Seite, die Tuchfabrik weitgehend im Fundzustand zu belassen. Die Besucherbegleiter erklären und erläutern die Fabrik und fungieren zugleich als eine Art Aufsicht. Dadurch erübrigen sich eine flächendeckende Erläuterung und Beschilderung der Museumsobjekte ebenso wie störende Schutzvorkehrungen zur Diebstahlsicherung des überall lagernden Inventars.

Für die Bau- und Inventarsanierung war es notwendig, den Planern und Handwerkern genaue Vorgaben für ihre Arbeiten zu machen, um später die Fabrik in einem in sich stimmigen Zustand präsentieren zu können. Als Restaurierungsziel für die Fabrik und ihr Inventar legte die Museumsleitung das letzte Betriebsjahr 1961 fest. Das heißt, dass alle Schäden und Verfallsspuren, die durch den Leer- und Stillstand seit 1961 entstanden waren, dagegen Schäden, Veränderungen, Gebrauchs- und Nutzungsspuren aus der Betriebszeit erhalten bleiben sollten.


Sanfte Bausanierung

Für die Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten gab es sowohl von der Denkmalpflege als auch vom Museumskonzept her einige grundlegende Richtlinien:

- Es sollte so viel wie irgend möglich von der alten Bausubstanz erhalten bleiben: Wo ein Eingriff also nicht zwingend erforderlich war, wurde dieser unterlassen. Wenn Reparaturen oder Erneuerungen notwendig waren, wurden diese streng nach historischem Vorbild durchgeführt. Sehr viele der Sanierungsarbeiten kann man daher heute kaum noch in der Fabrik erkennen, so material- und herstellungsgerecht, so vorsichtig sind sie durchgeführt: etwa die aufwendige Fundamentsanierung, die Holzschutzbehandlung der gesamten tragenden Holzkonstruktion, die partielle Erneuerung des Holz-Estrichs, der Dächer und des Wandputzes.

- Die neuen Teile und Ergänzungen wurden mit zwei Grautönen einheitlich kenntlich gemacht, um klar alte Bausubstanz von neuen Zusätzen zu unterscheiden. Diese Farbtöne wurden so gewählt, dass sie auf dem Hintergrund der historischen Bausubstanz kaum auffallen. Wenn man sich in der Fabrik genauer umschaut, dann kann man eine ganze Menge neuer Elemente entdecken: eine moderne elektrische Verkabelung (unter Beibehaltung der historischen Stormleitungen), eine Heizungs-, Brandmelde- und Sprinkleranlage sowie Technik für die Einbruchsicherung. Der Einbau einer Sprinkleranlage war nicht vorgeschrieben, erwies sich aber als sehr sinnvoll, um in einem „Kompensationshandel” zu erreichen, dass nur sehr wenig neue Brandabschnitte – mit allen damit verbundenen massiven Eingriffen in Decken und Wände – geschaffen werden mussten.

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Treppenhausturm. Foto 2010
Ein neuer Treppenhausturm auf der Rückseite der Tuchfabrik bietet Behinderten den Zugang zu allen Stockwerken und im Brandfall ein sicheres Verlassen des Gebäudes. Er ist bewußt ganz modern gehalten, um eine klare Unterscheidung zwischen historischer Bausubstanz und der museumsgerechten Infrastruktur zu gewährleisten.


Restaurierung und Reaktivierung

Eine besondere Herausforderung stellte die Restaurierung des gesamten Fabrikinventars dar, die erst nach Abschluss der Bauarbeiten erfolgte. Das Museum entschied, das Restaurierungsziel „Gebrauchsszustand des letzten Betriebsjahres“ entsprechend der jeweiligen Nutzungsgeschichte der einzelnen Objekte auszudifferenzieren.

- Stillstands-Zustand
Bereits vor 1961 stillgelegte Maschinen – zum Beispiel Webstühle, die nur noch als ‘Ersatzteillager’ herumstanden – wurden lediglich vom Bauschmutz gereinigt, nicht aber vom Rost und Schmutz, der vermutlich schon 1961 vorzufinden war. Die Restauratoren hatten den Auftrag, Schäden oder fehlende Teile zu ignorieren.

- Betriebs-Zustand
Bis zur Stillegung benutzte Objekte sollten hingegen wieder in einen gepflegten Gebrauchszustand versetzt werden. Dies bedeutete eine gründliche Reinigung und Entrostung, insbesondere der während des Betriebs sauberen und blanken Stellen. Selbstverständlich wurden alte Oberflächen und Lacke, Improvisationen und Behelfslösungen belassen. Dort, wo der Rost alte Lackschichten zerstört hatte, wurden diese farblich retuschiert – und zwar so, dass man die Retusche von weitem nicht sofort, bei näherem Hinsehen allerdings unzweifelhaft erkennen kann. Dort, wo durch die Zeit des Stillstands seit 1961 die Objekte deutlich Schaden genommen hatten, wurde auch ergänzt und partiell erneuert: Zum Beispiel wurden verfaulte und zerfressene Holzplanken an einer Färbemaschine ausgetauscht, ein durchgerostetes Loch in einer Schubkarre wieder geschlossen und Mottenlöcher in einem Tuch gestopft, das auf dem Webstuhl erhalten bleiben soll.

- Reaktivierter Zustand:
Zentrale Maschinen wurden reaktiviert: die Dampfmaschine, der Krempelwolf, ein Krempelsatz, ein Selfaktor, die Kettschärmaschine, die Zwirnmaschine, vier Webstühle. Mit diesen Maschinen kann das Museum nun von der gewaschenen Wolle bis zum gewebten Tuch alle wichtigen Produktionsschritte vorführen.

Im Zusammenhang der Reaktivierung waren allerdings zahlreiche Vorkehrungen erforderlich, die optisch weit mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen werden, als die nahezu unsichtbaren Eingriffe an den Maschinen selbst: Zum Schutz der Besucher mußten vor allen laufenden Maschinen und Transmissionsriemen Abschrankungen errichtet werden. Im Vorbetrieb ist es zudem immer wieder erforderlich, dass Verschleißteile an den Maschinen erneuert werden.  Das Museum ist allerdings ganz bewusst diesen Weg gegangen, der die Funktion der Maschinen – zum Teil auf Kosten eines partiellen Substanzverlustes – erhält. Die Funktion und der Betrieb der Maschinen wird für die breite Öffentlichkeit in Video-Clips dokumentiert.

- Neuzustand
Da selbst das Ersatzteillager mit etlichen noch gar nicht gebrauchten Maschinenteilen erhalten geblieben war, ergab sich dort die Notwendigkeit, diese Teile quasi wieder in den Neuzustand zurückzuversetzen. Denn auch die unbenutzten Teile waren inzwischen stark angerostet und zum Teil verunreinigt. Ausnahmsweise zielte hier die Restaurierung also darauf ab, einen Auslieferungszustand zu rekonstruieren, weil diese Objekte nur Schädigungs- aber keine Gebrauchsspuren aufwiesen.


Museale Ergänzung

Die Tuchfabrik präsentiert sich als  Rekonstruktion und nicht als wissenschaftlich geordnetes Museum.  Die „Sammlung” der „Ausstellungsstücke” und ihre Anordnung hat gewissermaßen die Geschichte selbst vorgenommen. Das Museum sieht seine Aufgabe darin, diesen außergewöhnlich lebensnahen, sinnlichen und vielfältigen Bestand in seiner unmusealen Ordnung zu erhalten und ihn eher zurückhaltend zu erschließen, zu erläutern und zu ergänzen.

Zweifelsfrei war auch, dass eine gewisse Erläuterung der Fabrikräume sinnvoll und notwendig war, weil die Besucher sich sonst hilf- und orientierungslos dem Fabrikkosmos gegenüber fühlen würden. Eine Ergänzung ist auch notwendig, weil zentrale Bestandteile des historischen Betriebslebens nicht mehr sichtbar sind: der Akkordstress, das Betriebsklima, die Farbbrühe, die direkt in den Bach abgeleitet wurde. Knappe Tafeln erläutern daher kursorisch die Nutzung der einzelnen Räume. Auszüge aus Interviews mit ehemaligen Arbeitern zu einzelnen Maschinen und Inventarteilen geben weitere Informationen zum Arbeitsablauf und dem Betriebsleben. Hölzerne Hände mit Werkzeugen und Arbeitsmaterial am Krempelsatz symbolisieren die alltäglich notwendigen Handgriffe und Verrichtungen an diesen Maschinen.  Ein Modell der langen Transportwege der gesamten Fabrik, verdeutlicht den Weg, den die Wolle nimmt, bevor sie als Tuch ausgeliefert werden kann.

Für die museale Gestaltung gilt, dass sie Informationen liefern, Zusammenhänge darstellen und Assoziationen anregen, aber nicht das wiederherstellen sollen, was einmal war, aber nicht mehr ist.

Im Jahr 2016 wurden in der Nass- und Fertigappretur ergänzend einige neue Bildprojektionen installiert, die die Funktionen der Maschinen und Arbeitsabläufe illustrieren. Zudem gibt es neue Toneinspielungen zu Objekten, die in den Spinden gefunden wurden und einen fiktiven Monolog von Kurt Müller, der sich rückblickend an die Geschehnisse nach der Schließung der Fabrik erinnert. Alle Medieninstallationen fügen sich dezent in den Fabrikkosmos ein und sind vollständig reversibel.

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Kontor-, Lager- und Wohnhaus. Foto 2010
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Kontor-, Lager- und Wohnhaus von der Gartenseite. Foto 2010
Die museale Erläuterung bemüht sich aber auch um eine strukturelle Einordnung und Kontextualisierung des Einzelfalls Tuchfabrik: Dies geschieht mit einer kleinen – eher klassischen – Ausstellung in den gegenüber liegenden ehemaligen Wohnräumen der Familie Müller, in der Bilder und Objekte zur Geschichte und zur Krise der rheinischen Tuchindustrie gezeigt werden. Dort kann man erfahren, wie es in anderen, größeren, moderneren Tuchfabriken aussah, dort werden die Gründe und Folgen des Sterbens vieler Tuchfabriken in der Region analysiert.

Im Jahr 2016 wurden in diesen Ausstellungsräumen ergänzend Hörstationen installiert, die Auszüge aus Interviews mit ehemaligen Arbeiterinnen und Arbeitern bieten, die über Alltagswelt und Arbeitserfahrungen erzählen. Dort gibt es auch Informationen zur Familiengeschichte der Unternehmerfamilie Müller. Mit neuen Audio-Angeboten werden die Besucher zudem in die Geschichte der Tuchindustrie in Euskirchen und im größeren Wirtschaftsraum Monschau, Aachen, Verviers und Euskirchen eingeführt.

Gekürzter und für das Internet bearbeiteter Text – vollständig und mit vollständigen Anmerkungen und Quellenangaben: Detlef Stender: Arbeit an einer Fabrikwelt. Die Rekonstruktion einer Tuchfabrik als Museum, in: Rheinisches Industriemuseum (Hg.): Industriedenkmäler präsentieren sich: Drei Standorte des Rheinischen Industriemuseums. Essen 2000, S. 31-51


Literatur

• Bayerl, Günter: Bericht zur Papierfabrik Kuchenheim. Unveröffentlichte Studie in der Dokumentation des LVR-Industriemuseums Euskirchen, 19971
• Dix, Andreas: Industrialisierung und Wassernutzung. Eine historisch-geographische Umweltgeschichte der Tuchfabrik Ludwig Müller in Kuchenheim (= Rheinisches Industriemuseum, Beiträge zur Industrie- und Sozialgeschichte. Band 7). Rheinland-Verlag, Köln 1997
• Götz, Kornelius: Über die Kunst eine Fabrik zu restaurieren, in: Hartwig Schmidt (Hg.): Das Konzept Reparatur. Ideal und Wirklichkeit = ICOMOS, Hefte des deutschen Nationalkomitees XXXII, Leipzig 1998, S. 96-105
• Landschaftsverband Rheinisches Industriemuseum (Hg.): Tuchfabrik Müller. Arbeitsort - Denkmal - Museum. Köln 1997
• Landschaftsverband Rheinland/Rheinisches Industriemuseum Euskirchen (Hrsg.): Erinnerungsstücke einer Fabrikwelt. Die Tuchfabrik Müller. Katalog des Rheinischen Industriemuseums Euskirchen (= Rheinisches Industriemuseum, Schriften. Band 19). Klartext Verlag, Essen 2000
• Landschaftsverband Rheinland/LVR-Industriemuseum (Hrsg.): Tuchfabrik Müller. Ein Rundgang. Euskirchen 2013, (mit dem Comic Jakob rockt die Tuchfabrik
• Stegelmann, Elisabeth: Vom Papier zum Tuch. Geschichte der ehemaligen Fingerhutmühle und heutigen Tuchfabrik Müller in Kuchenheim 1801-1900, Unveröffentlichter Bericht für das Forschungsprojekt zur Tuchfabrik Müller, Euskirchen 1991
• Stender, Detlef: Sinn und Substanz. Textilmaschinen als kulturelles Erbe, erscheint in rheinform, Informationen für die rheinischen Museen, 13, 01/2018
• Stender, Detlef: Am Ende einer Epoche. Die Betriebsschließung der Tuchfabrik Müller im Strukturwandel der Branche, in: Rainer Wirtz (Hg.): Industrialisierung-Ent-Industrialisierung-Musealisierung. Köln 1998, S. 96-126
• Stender, Detlef: Den Schornstein im Dorf lassen. Denkmalpflege als Museumskonzept: Die Tuchfabrik Müller in Euskirchen. In: Hartmut John, Ira Manzoni (Hrsg.): Industrie- und Technikmuseen im Wandel. Perspektiven und Standortbestimmungen. Bielefeld 2005, S. 53–70