Was die Stadt Wuppertal von den anderen rheinischen Textilzentren unterschied, war die Bandbreite der hier verarbeiteten textilen Rohstoffe. Wuppertal war keine Seidenstadt wie Krefeld, neben der Seide standen Baumwolle, Wolle und schließlich vor allem die „Kunstseide.“ Über den Zeitraum von etwa 70 Jahren kann das Wuppertal als das Zentrum der deutschen Kunstseidenindustrie gelten. Die Glanzstoff-Zentrale an der Kasinostraße gibt davon Zeugnis.
1899 trat ein neuer textiler Rohstoff seinen Siegeszug um die Welt an, die „Kunstseide“.
Der synthetischer Faden war von dem Chemiker Max Fremery und dem Ingenieur Johann Urban bei der Suche nach einem Glühfaden für die Glühbirnenfabrikation (Aachen) entwickelt worden. Der Faden aus in Kupfer-Hydroxid und Ammoniakwasser gelöster Cellulose fiel wegen seiner Stabilität und wegen seines Glanzes auf und wurde bald „Glanzstoff“ genannt. Gerade in der Wuppertaler Schmuck- und Besatzartikelweberei war diese Eigenschaft besonders gefragt. So wurde für die industrielle Herstellung in Elberfeld, am Sitz der dort ansässigen Bergisch-Märkischen Bank, die „Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG“ gegründet.
Bis 1925 waren bedeutende Werke in Stettin, in Cöpenick bei Berlin, in Kelsterbach bei Frankfurt am Main, bei Köln, in Obernburg, Bayern, bei Mühlhausen im Elsass, in St. Pölten bei Wien und in Lobositz, Böhmen, dazugekommen. Die Konzernzentrale verwaltete Werke mit insgesamt 10.000 Belegschaftsmitgliedern.
Zur Bauzeit der „neuen Zentrale“, dem Glanzstoff-Hochhaus“ hatte sich die Zahl der Mitarbeiter an den verschiedenen Produktionsstandorten auf etwa 23.000 Mitarbeiter erhöht. Das entsprach mehr als der Hälfte der etwa 40.000 Beschäftigten in der westdeutschen Chemiefaserbranche. Die Verwaltungszentrale organisierte die deutschlandweite Produktion und den weltweiten Verkauf ihrer Produkte: neben den Produktionsstandorten in Deutschland wurden die fünf Vertriebsfirmen in Europa gesteuert und weltweite Handelskontakte gepflegt.
Der TTI-Flügel besteht aus drei hintereinander angeordneten dreigeschossigen Kuben mit zentralem Eingang. Im Untergeschoss, mit elastischen Boden ausgestattet, standen die Webstühle der Versuchsweberei.
Neben die halbsynthetischen Faserstoffe, „Kunstseide“ oder „Reyon“, die auf Basis von natürlichen Cellulose gewonnen wurden – waren seit 1950 die vollsynthetischen Textilrohstoffe aus Polyamid (Nylon, Perlon) Polyacrylnitrile (Dolan, Dralon) und Polyester (Diolen) getreten. Die rasante der neuen Fasern wurde durch eine umfassende begleitende Forschungs- und Entwicklungsarbeit ermöglicht. 900 Personen, etwa 5% aller Beschäftigten des Glanzstoff-Konzerns, waren in der Forschung tätig, die Hälfte davon im Textiltechnischen Institut in Wuppertal.
Einige Etagen des Glanzstoffhochhauses werden auch heute noch von Nachfolgefirmen der Glanzstoff-Gruppe genutzt. Auch das mittlerweile selbstständige Textiltechnische Institut und einige Schwesterfirmen forschen und entwickeln noch am alten Standort. In der Versuchsweberei des TTI´s werden heute jährlich etwa 700.000 Meter Breitgewebe verwebt, spezielle Stoffe für Air-Bags oder schusssichere Westen.