Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG (VGF) Hauptverwaltung
Wuppertal-Elberfeld, Kasinostraße 15 | Herzogstr. 31
Rainer Rehfus
Die Konzernzentrale der Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG in Wuppertal-Elberfeld


Was die Stadt Wuppertal von den anderen rheinischen Textilzentren unterschied, war die Bandbreite der hier verarbeiteten textilen Rohstoffe. Wuppertal war keine Seidenstadt wie Krefeld, neben der Seide standen Baumwolle, Wolle und schließlich vor allem die „Kunstseide.“ Über den Zeitraum von etwa 70 Jahren kann das Wuppertal als das Zentrum der deutschen Kunstseidenindustrie gelten. Die Glanzstoff-Zentrale an der Kasinostraße gibt davon Zeugnis.

1899 trat ein neuer textiler Rohstoff seinen Siegeszug um die Welt an, die „Kunstseide“. Der synthetischer Faden war von dem Chemiker Max Fremery und dem Ingenieur Johann Urban bei der Suche nach einem Glühfaden für die Glühbirnenfabrikation (Aachen) entwickelt worden. Der Faden aus in Kupfer-Hydroxid und Ammoniakwasser gelöster Cellulose fiel wegen seiner Stabilität und wegen seines Glanzes auf und wurde bald „Glanzstoff“ genannt. Gerade in der Wuppertaler Schmuck- und Besatzartikelweberei war diese Eigenschaft besonders gefragt. So wurde für die industrielle Herstellung in Elberfeld, am Sitz der dort ansässigen Bergisch-Märkischen Bank, die „Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG“ gegründet.

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Hauptverwaltung in Elberfeld. historische Aufnahme von 1924
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alte Hauptverwaltung. Foto: Gregori, 2015
1900 zog die Geschäftsführung des in Aachen produzierenden Unternehmens nach Elberfeld, in unmittelbare Nähe der Bank und in eines der vornehmsten Häuser der Stadt. In den Jahren vor dem Weltkrieg waren mit den neuen Fasern jährlich Dividenden von 30 bis 40 Prozent zu erzielen. Insbesondere durch den Mangel an textilen Rohstoffen während des Weltkrieges nahm die Kunstseide einen rasanten Aufstieg. Im Firmensitz war ab 1915 zugleich der Verband der deutschen Kunstseidenindustrie untergebracht.

Bis 1925 waren bedeutende Werke in Stettin, in Cöpenick bei Berlin, in Kelsterbach bei Frankfurt am Main, bei Köln, in Obernburg, Bayern, bei Mühlhausen im Elsass, in St. Pölten bei Wien und in Lobositz, Böhmen, dazugekommen. Die Konzernzentrale verwaltete Werke mit insgesamt 10.000 Belegschaftsmitgliedern.

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neue Hauptverwaltung. Foto: Gregori, 2015
1954 bis 1958 entstand nach Plänen des Architekten Hanns Dustmann die neue Konzernzentrale, das „Glanzstoff-Hochhaus". Das stadtbildprägende Gebäude ist 55 Meter hoch und war mit seinen 15 Etagen über zwei Jahrzehnte das höchste Gebäude der Stadt. Die Gesamtanlage umfasst drei Flügel. In einem Flügel befindet sich bis heute das Textiltechnische Institut, das sich mit der Forschung und Prüfung synthetischer, meist technischer Textilen beschäftigt.

Zur Bauzeit der „neuen Zentrale“, dem Glanzstoff-Hochhaus“ hatte sich die Zahl der Mitarbeiter an den verschiedenen Produktionsstandorten auf etwa 23.000 Mitarbeiter erhöht. Das entsprach mehr als der Hälfte der etwa 40.000 Beschäftigten in der westdeutschen Chemiefaserbranche. Die Verwaltungszentrale organisierte die deutschlandweite Produktion und den weltweiten Verkauf ihrer Produkte: neben den Produktionsstandorten in Deutschland wurden die fünf Vertriebsfirmen in Europa gesteuert und weltweite Handelskontakte gepflegt.

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Textiltechnische Institut, links die neue Hauptverwaltung. Foto: Gregori, 2015
Eine besondere Stellung in dem Gebäudekomplex nahm das Textiltechnische Institut ein, das in dem dreigeschossigen Flügel gegenüber dem Hochhaus lag. Dem TTI oblag die anwendungstechnische Forschung zu den Glanzstoffprodukten und galt seinerzeit „als das modernste in Europa“, das selbst in den in den USA seinesgleichen suchen würde.

Der TTI-Flügel besteht aus drei hintereinander angeordneten dreigeschossigen Kuben mit zentralem Eingang. Im Untergeschoss, mit elastischen Boden ausgestattet, standen die Webstühle der Versuchsweberei.

Neben die halbsynthetischen Faserstoffe, „Kunstseide“ oder „Reyon“, die auf Basis von natürlichen Cellulose gewonnen wurden – waren seit 1950 die vollsynthetischen Textilrohstoffe aus Polyamid (Nylon, Perlon) Polyacrylnitrile (Dolan, Dralon) und Polyester (Diolen) getreten. Die rasante der neuen Fasern wurde durch eine umfassende begleitende Forschungs- und Entwicklungsarbeit ermöglicht. 900 Personen, etwa 5% aller Beschäftigten des Glanzstoff-Konzerns, waren in der Forschung tätig, die Hälfte davon im Textiltechnischen Institut in Wuppertal.

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neue Hauptverwaltung. Foto: Gregori, 2015
Bis 1970 galt der Konzern als Weltmarkführer bei synthetischen Textilien. Eine Aufsichtsratssitzung im April 1972 im Glanzstoff-Hochhaus, ein Streik in Wuppertal und Arbeiteraktionen in Werken in Italien, Spanien, Belgien und den Niederlanden gegen eine geplante Fusion markierten die Wende. Durch weitere Kapitalkonzentration auf dem Weltmarkt und mehrere Fusionen verlor der Konzern seine Eigenständigkeit und die Stadt Wuppertal ihre Bedeutung für synthetische Textilien.

Einige Etagen des Glanzstoffhochhauses werden auch heute noch von Nachfolgefirmen der Glanzstoff-Gruppe genutzt. Auch das mittlerweile selbstständige Textiltechnische Institut und einige Schwesterfirmen forschen und entwickeln noch am alten Standort. In der Versuchsweberei des TTI´s werden heute jährlich etwa 700.000 Meter Breitgewebe verwebt, spezielle Stoffe für Air-Bags oder schusssichere Westen.