Die für die weitere Geschichte der Fa. Henckels somit vielleicht folgenreichste Entscheidung überhaupt war der Entschluss, in Berlin eine Zweigniederlassung zu etablieren. Nach anfänglichen Schwierigkeiten sollte sich die ab 1819 von dem noch sehr jungen Sohn Gottfried geführte Berliner Niederlassung später zur eigentlichen kaufmännischen Zentrale des Unternehmens entwickeln.
Gleichzeitig machte sich der Bruder und zweite Sohn des Firmengründers, Johann Abraham Henckels, der auf der Berliner Gewerbeschule eine technische Ausbildung erfahren hatte, daran die Herstellung in Solingen auf eine neue Grundlage zu stellen.
Eines der größten Probleme bei der Fertigung von erstklassigen Stahlwaren, wie sie nicht zuletzt die großstädtische Berliner Kundschaft verlangte, war die Beschaffung von reinem und guten Stahl. 1844 wurde aus diesem Grund in Müngsten an der Wupper ein eigener Raffinierstahlhammer in Betrieb genommen. Die Teilnahme der Firma Henckels an der Londoner Weltausstellung im Jahre 1851 führte J.A. Henckels auch ins englische Sheffield, das damalige Zentrum der Schneidwarenindustrie. Die Eindrücke dieser Reise haben Johann Abraham offensichtlich in seinen bereits länger gehegten Plänen bestärkt, denn sie bildeten den Auftakt zu einem geradezu stürmischen Fabrikausbau. Heinrich Kelleter, der die Geschichte der Fa. Henckels im Jahre 1924 in einer großzügig angelegten Chronik präsentierte, brachte die Intentionen von J.A. Henckels auf den Punkt: „Es handelte sich zunächst darum, die verschiedenen Fabrikationszweige der Hausindustrie, namentlich soweit diese auf die Güte der Ware von besonderem Einfluss waren (Schmieden, Härten usw.), an einer gemeinsamen Arbeitsstätte zu vereinigen, um so eine ständige und ausgiebige Kontrolle ausüben zu könne. Hiermit war, wegen des Wegfalls vielfach weiter Wege, eine Verbilligung der Ware gegeben.“ Es ging also um nicht weniger als die Zusammenfassung der bis dahin noch dezentralen Produktion Solinger Stahlwaren unter dem Dach einer einzigen Fabrik.
Die bedeutendste Baumaßnahme der 1850er Jahre war sicherlich der Bau einer Dampfschleiferei incl. Maschinenhaus und Steinhaus, mit dem bereits eine Woche nach der England-Reise begonnen wurde. Es galt, den Schleifsektor nach englischem Vorbild durch die Ansiedlung der nach wie vor selbständigen Schleifer – sie mieteten in der Henckelsschen Dampfschleiferei eine Arbeitsstätte – besser kontrollieren zu können und von der Wasserkraft unabhängig zu machen. Die 1860er Jahre standen im Zeichen des Aufbaus einer mechanischen Schmiede. Im Jahre 1861 kaufte J.A. Henckels in Berlin den ersten Dampfhammer, der zum Recken von Stahl sowie zum Ausschmieden großer Messer genutzt wurde. Die Krönung dieser auf die selbständige fabrikindustrielle Herstellung von Rohwaren gerichteten Maßnahmen stellte die Inbetriebnahme eines eigenen Guss-Stahlwerkes Mitte 1869 dar. Es sollte fast 100 Jahre – bis 1965 – bestehen. Am Ende dieser mit dem plötzlichen Tod von J.A. Henckels im Jahre 1870 endenden Sturm- und Drang-Phase stand eine Fabrikanlage, die in Solingen und Umgebung ihresgleichen suchte.
Während das Unternehmen nach dem frühen Tod von J.A. Henckels zunächst durch die Witwe fortgeführt wurde, übernahm der 1875 eingeheiratete Schwiegersohn Fritz Beckmann noch im gleichen Jahr zusammen mit dem ältesten Sohn von Johann Abraham Henckels, Johann Albert Henckels (1847 – 1891), die Leitung des Unternehmens.
Nachdem 1877 erste Versuche der Zerlegung des Schleifens Teilarbeit am Widerstand der Schleifer gescheitert waren, konzentrierte sich Johann Albert Henckels weiterhin auf den Schmiedesektor.
Er hielt mehrere Patente auf Konstruktionen, die von der Köln-Mülheimer Maschinenfabrik Eulenberg und Wintersbach gebaut wurden. So für einen Universal-Dampfhammer, der auch in drei weiteren großen Solinger Unternehmen zur Anwendung kam sowie für einen neuartigen Typ des Schwanzhammers - einen mittels Flachfedern angetriebenen Federhammer, auf dem die Schmiedestücke gereckt und gebreitet wurden. Diese Hämmer sollten bei der Fa. Henckels noch 1972 in Betrieb sein. Neben der Weiterentwicklung der Gesenkschmiedetechnik, bei der die Fa. Henckels in Solingen eine Pionierrolle zukam, stand besonders die Überführung zahlreicher Handarbeiten in Maschinenarbeit auf dem Programm. Bis zur Jahrhundertwende wurde eine Vielzahl von neuentwickelten Werkzeugmaschinen – so etwa Fräsmaschinen, die zeitaufwendige Arbeiten, die früher mit der Feile ausgeführt wurden, übernahmen – Pressen oder Hammermaschinen aufgestellt.
In den 1920er Jahren beschäftigte das Unternehmen nicht weniger als etwa 1.200 Betriebsarbeiter und 1.300 Heimarbeiter, wobei das Mustersortiment viele tausend Modelle umfasste.
Auch wenn die Produktion nach Ausgang des Zweiten Weltkrieges nach vorangegangenen Demontagen und intensiver Spionage-Tätigkeit der Sheffielder Konkurrenz erst 1948 wieder anlaufen konnte, sollte das Zwillingswerk seine führende Position auf dem Weltmarkt rasch wiedererlangen können.
1969 trat die Neusser Wilh. Werhahn OHG als Mehrheitsaktionär in das Unternehmen ein, um 1971 dann auch die restlichen Anteile zu übernehmen. Eine Aufstockung des Aktienkapitals auf 11,5 Millionen brachte die Grundlage für die Erneuerung des Maschinenparks. Allein in den Jahr 1969 und 1970 wurden im Solinger Werk sieben Millionen DM investiert. Im Zuge dieser Maßnahmen hielten Schleifmaschinen auf breiter Front Einzug in die Fertigungsabteilungen – mit der Folge, dass der Heimarbeiterstamm weitgehend freigesetzt wurde. Ende der 1980er Jahre folgte eine Sanierung der Betriebsgebäude, der einige historische Werkteile zum Opfer fielen. Im Zuge der technischen und betriebswirtschaftlichen Rationalisierung schrumpfte die Belegschaft des Solinger Werkes auf weniger als 500 Personen zusammen, auch die Zahl der Muster wurde deutlich reduziert. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein erheblicher Teil der Produkte mit dem Zwillingszeichen von anderen Unternehmen in aller Welt im Auftrag der Fa. Henckels produziert wird.
Die Fa. Henckels ist an einigen namhaften Solinger Unternehmen beteiligt. Im niederländischen Vroomshoop unterhält Henckels ein eigenes Zweigwerk. Hinzu kommen Tochtergesellschaften und Produktionsstätten in neun der größten Industrieländer, u.a. Spanien, China, Japan, Kanada, USA und der Schweiz. In China betreibt das Unternehmen drei seiner elf Werke und rund 300 Verkaufsstellen. Auf kaufkräftigen Märkten wie den USA oder Japan liegt der Marktanteil des Zwillingswerkes bei mehr als 50 Prozent. Doch den größten Anteil am Umsatz von 650 Millionen Euro im Jahr 2014 hatten nicht mehr die Kochmesser, sondern Pfannen und Kochtöpfe.