Brotfabrik der Produktiv-Genossenschaft Niederrhein
Ritterstraße, 181, 183, 185, 187, 187a in Krefeld




Sabine Lepsky
Brotfabrik der Produktiv-Genossenschaft Niederrhein in Krefeld

1908-1910, aus Anlass der Fusion der 1901 gegründeten Konsumgenossenschaften „Fortschritt“ und „Solidarität“ wurde der Baukomplex an der Ritterstraße als Lager- bzw. Produktionsgebäude für die Konsum- und Produktiv-Genossenschaft “Niederrhein“ errichtet. Die Standortwahl südlich des Hauptbahnhofs ermöglichte eine direkte Anlieferung von Rohstoffen und gleichzeitig eine Versorgung der von der Fabrik zu beliefernden Konsumläden.

Im Hof des Komplexes wurde nach den Plänen des Krefelder Architekten Karl Buschhüter (1872-1956) das Lagergebäude errichtet. Die Hoffassade des viergeschossigen Ziegelbaus wird durch eine vertikale Folge von hohen Fenstern zwischen Mauerwerkspfeilern bestimmt. Mauerwerksflächen sind kaum wahrnehmbar. In einer frühen Formulierung des Ziegeldekors, wie er für den niederrheinischen Backsteinexpressionismus später prägend wurde, springen in den Brüstungsfeldern der Fenster die Ziegellagen vor und zurück. Unter diesem Relief sind die scheitrechten Fensterstürze an einigen Stellen durch Rollschichten optisch erhöht und so als Gestaltungselemente hervorgehoben. Tief in die Fensterebene geschobene Sprossenfenster steigern die Plastizität der Fassade. Die X-förmigen, geschweiften Ankersplinte mit abgewinkelten Enden bilden markieren die inneren Geschosseecken. Zwei Treppenhäuser, die die Folge der zwölf Fensterachsen unterbrechen bzw. abschließen (Nr. 187a) dienen der Erschließung. Beide sind turmartig überhöht. Allerdings besitzt nur noch das westliche Treppenhaus das bauzeitlich konzipierte Pyramidendach. Zwischen den beiden Erschließungen diente eine Rampe der An- und Ablieferung von Waren. Über den breiten Stürzen der drei Schiebetore setzen die Mauerpfeiler über abgetreppten Ziegellagen konsolartig an.

Nach dem gleichen Konzept entwarf der Lüdenscheider Architekt Robert Adrian (1878-1934) das straßenseitige Produktionsgebäude. Auch an dessen Fassade besteht das architektonische Konzept aus einer Folge von durchbindenden Mauerpfeilern zwischen tiefliegenden Fenstern. Auch die Hervorhebung der Geschossebenen durch die auffälligen Ankersplinte ist identisch. Dieses Konzept vertikaler Monumentalität strukturierte Adrian durch eine differenzierte Proportionierung der Pfeilerelemente. In den äußeren Achsen der giebelständigen Straßenfassade fassen je zwei breite Pfeiler die Eingänge. Oberhalb der Türstürze nahmen ursprünglich Atlanten die Pfeiler ab Obergeschossniveau auf. Diese sind heute vermauert. Die vier mittleren Fensterachsen werden durch Pfeiler etwas kleineren Querschnitts geteilt. In einer dritten Maßstabsebene schließlich ersetzen schmale Mauerpfeiler Fensterpfosten und fassen 1. und 2. Obergeschoss zusammen. Im Dachgeschoss rahmt ein gesprengter Giebel mit weitem Dachüberstand eine bauplastisch ausgeführte Allegorie, das auf den genossenschaftlichen Kontext verweist. Hier stehen sich zwei nackte Männer als Personifikationen der beiden fusionierten Genossenschaften ‚Fortschritt‘ und ‚Solidarität‘ gegenüber. Als Zeichen ihrer Fusion reichen sie sich vor der flächig angelegten Figur der Gerechtigkeit, welche die Fusion bezeugt und beschirmt, die Hand. Die Tugend breitet ihre Arme aus und nimmt beide unter ihrem Mantel auf. An diesen Hausabschnitt schließt in der Ritterstraße ein traufständiger Trakt an, der den Haupteingang mit seinem Vorbau aufnimmt. Neben der Einrichtung einer Großbäckerei mit zehn Backöfen wurde eine Limonadenfabrik und eine Bauhütte für Arbeiter eingerichtet.

Die Genossenschaft nutzte den Komplex – mit Unterbrechung der belgischen Besatzungszeit von 1919-26 – bis 1933. Folge des Verbots der Genossenschaft durch die nationalsozialistische Regierung war Enteignung. 1934 übernahm dann der Brotfabrikant Im Brahm die Gebäude und produzierte hier bis 1983. Der noch heute geführte Name Brotfabrik Im Brahm und das Plakat des pausbäckigen Jungen, das auf den Schildermaler Richard Hütter zurückgeht, erinnern an diese letzte Nutzung. Die heutigen Nutzer der seit 1999 sanierten Gebäude sind vorwiegend im kreativen Bereich tätig, so dass hier nun neben Büros Werkstätten, Ateliers und ein Theater untergebracht sind.

Das Objekt Brotfabrik der Produktiv-Genossenschaft Niederrhein in Krefeld ist ein eingetragenes Baudenkmal (Denkmalliste Krefeld, laufende Nr. 397, Eintrag in die Denkmalliste am 15.08.1985).

Sabine Lepsky, Forschung am Bau GbR, Köln / Institut. Industrie-Kultur-Geschichte-Landschaft / Köln

Links:

kultur-in-krefeld.de: Ingrid Schupetta, Konnsumm in Krefeld, 2014.

Literatur:

Hechler, Charlotte und Rolf-Bernd Hechler (2017): Karl Buschhüter und Anton Gaud – Vergleich von Leben und Werk. In: die Heimat. Krefelder Jahrbuch, Jg. 88, 2017, S.135-148.