Felten & Guilleaume | Carlswerk
Köln, Schanzenstr. 22–30
Firmengeschichte und Gesamtanlage

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Fotos: Rheinisches Bildarchiv
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Drahtwerk Köln
BEOS GmbH


Texte und Dokumente
Kurztext: Alexander Kierdorf

Walter Buschmann: Felten & Guilleaume. Geschichte des Unternehmens und des Carlswerks in Köln-Mülheim



Kurztext

Das 1873 gegründete, heute in vier Betriebsareale unterteilte, einst riesige Kabelwerk Felten & Guilleaume weist zahlreiche bemerkenswerte Bauten auf. Die Reihe der Verwaltungsgebäude an der Schanzenstraße wird unterbrochen von zwei mehrstöckigen Produktionsbauten, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg entstanden und später aufgestockt wurden. Die weitgehend ornamentlosen, aber stark plastisch gegliederten Fassaden verweisen auf die Repräsentationsabsicht der Bauherren. Die bis in die Anfänge des Werks zurückreichenden, ein- und mehrgeschossigen schlichten Backstein-Werksgebäude, teils mit hölzernem Ausbau, werden schrittweise, wie gegenüber dem E-Werk, anderen Nutzungen zugeführt.


Walter Buschmann
Felten & Guilleaume – Geschichte des Unternehmens und des Carlswerks in Köln-Mülheim


Die Firma Felten & Guilleaume gehört einerseits zu den weit, bis ins 17. Jahrhundert zurückgehenden Kölner Traditionsunternehmen und entwickelte sich andererseits im 19. und 20. Jahrhundert zu einem der Großbetriebe mit etwa 7500 Beschäftigen in den 1920er und 1930er Jahre.

Selten nur lässt sich die Herkunft der Industrie aus dem im Mittelalter verankerten Handwerk so gut darstellen wie am Beispiel von Felten & Guilleaume. Unter den Zünften, die nach dem Sturz der Geschlechter die Herrschaft in Köln ausübten waren in der Gaffel der Kannegießer und Hammacher auch die Seiler vertreten. Das Rohmaterial wuchs in besonderer Güte in der niederrheinischen Niederung und die Erzeugnisse fanden guten Absatz in den Gruben des Bergischen Landes und in der Rheinschifffahrt. Um 1700 gab es in der Seilerzunft über 20 Meister.

Ursprung der Firma Felten & Guilleaume war die seit 1682 nachweisbare Seilerei des Seilermeisters Hartmann Felten. Das Stammhaus der Seilerei befand sich unweit der Hahnentorburg in dem Haus „In der Höhle 2“ mit einem Detailgeschäft für Seilerwaren, Bindfäden und verwandte Artikel. Nach 1744 begann Felten seine Mitmeister im Verlagssystem zu beschäftigen: er lieferte das Rohmaterial, den Hanf und die Auftragnehmer fertigten gegen Entlohnung die Seilerware.

Fabrik am Kartäuserwall. Rechts die Ulrepforte. Im Vordergrund Seilspinner an der Stadtmauer. Foto © (rba_L 01 221|28)
Mehrere Generationen später gründete 1820 der Seilermeister Johann Theodor Felten zusammen mit seinem Schwiegersohn Carl Franz Guilleaume das unter diesen beiden Namen dann in den kommenden Jahrzehnten so erfolgreiche Unternehmen. Als Produktionsort wurde 1827 das Gut Rosenthal am Karthäuserwall erworben und 1829 eine erste Seilmaschine aufgestellt. Hier wurden die zuvor im Verlagssystem beschäftigten Meister sowie Gesellen und Lehrlinge zusammengefasst. Der entscheidende Schritt zum Fabriksystem war getan.

Seilspinner am Türmschenswall, um 1880 kurz vor Abbruch der Stadtmauer.Aquarell. Foto: © Rheinisches Bildarchiv. (rba_130 161)
Die Seilerbahnen befanden sich 1837 ausschließlich auf den Wällen der Stadt Köln. Noch bis zum Abbruch der Stadtmauer hielt sich diese Tradition der unter freiem Himmel ihrem Handwerk nachgehenden Seiler, wie auf einem Aquarell von Wilhelm Scheiner 1887 festgehalten wurde. Felten & Guilleaume errichteten allerdings in unmittelbarer Nachbarschaft der Ulrepforte eine überdachte Seilerbahn.
Zur Grundlage des Erfolgs wurde für Felten & Guilleaume die 1835 aufgenommene Drahtseilproduktion. Bergrat Albert hatte dieses Drahtseil ein Jahr zuvor im Harzer Bergbau erfunden. Es wurde weltweit die Grundlage für einen industriell betriebenen Bergbau in großen Tiefen mit Bewältigung hoher Förderlasten. Felten & Guilleaume entwickelten einen lebhaften Absatz in das Aachener Revier zu dem dort aufblühenden Steinkohlenbergbau. Auch die Rheinschifffahrt wurde Großabnehmer für die Drahtseile. Ein anderer wichtiger Einsatzort waren Brücken und Seilbahnen. Doch auch in vielen anderen Bereichen der Industrie wurden Drahtseile zu einem unverzichtbaren Hilfsmittel. Felten & Guilleaume war die älteste Drahtseilfabrik des Kontinents. Die Produktion von Draht, ausgewalzt aus Eisen-, Stahl-, Kupfer- und Aluminiumbarren blieb über die Jahrzehnte hinweg ein Kernbereich der Fabrikation. Im Grundzug war und ist das Unternehmen, geprägt durch Drahtziehereien und -seilereien. Auch Anlagen mit Produktionsvorgängen zum Schutz dieses gegen Korrosion anfälligen Produktes: verzinken, verzinnen, verbleien, verkupfern.

Als Produktionsort wurde die Fabrik am Karthäuserwall in Köln mit 4 Dampfmaschinen ausgebaut. Auch 30 Sträflinge in der Provinzial-Arbeitsanstalt Brauweiler wurden beschäftigt. Felten & Guilleaume war Mitte der 1840er Jahre die bedeutendste Kölner Seilfabrik. Wessel 86, S. 14 Durch Gründung einer Seilerkolonie mit 50 Spinnern und Seilern auf der Linderheide bei Wahn wurde 1845 ein weiterer wichtiger Schritt zur Expansion getan. 1853 arbeiteten 223 Personen für Felten & Guilleaume in Köln, Wahn und Brauweiler.

Aus der Drahtherstellung entwickelte sich seit 1853 die in Wahn aufgenommene Kabelproduktion. Das erste Kabel wurde noch aus Eisendraht hergestellt und mit Guttapercha isoliert. Eine Drahtzieherei entstand am Karthäuserwall in Köln und in Wahn wurden eine Drahtwalzwerk und eine Verzinkerei nach englischem Vorbild errichtet. Felten & Guilleaume gelang es zunächst, in der Kabelproduktion eine Monopolstellung zu entwickeln. Es war bis 1876 das einzige Unternehmen auf dem Kontinent, das Kabel herstellte, musste sich allerdings mit diesem Produkt gegen starke englische Konkurrenz behaupten unter anderem gegen die von den Brüdern Siemens 1863 in Woolich bei London gegründete Kabelfabrik. Das Kabel jedoch war ein Produkt der Zukunft mit dem das Kölner Unternehmen Felten & Guilleaume seinen Weltrum begründete.



Das Carlswerk in Mülheim|Rhein

Die Stadt Mülheim am Rhein war besonders wegen seiner hohen Verkehrsgunst für eine industrielle Entwicklung geeignet. Drei Eisenbahnlinien gab es hier: die Köln-Mindener, die Bergisch-Märkische Eisenbahn und seit 1868 auch die Strecke nach Bergisch Gladbach und Bensberg. Dazu gab es am Rhein einen kleinen aber ausbaufähigen Flusshafen. Im Süden des Ortes hatten sich die Waggonfabrik Van der Zypen und Charlier angesiedelt. Im Norden gab es die allerdings nur kurzzeitig zwischen 1853 bis 1874 mit zwei Hochöfen betriebene Mülheimer Hütte, wobei 1872|73 das beste Jahr dieser Hütte gewesen sein soll.

Franz Carl Guilleaume
Emil Guilleaume
Der Lageplan zeigt den Gründungsbau als Anlage mit allen später über das ganze Werksgelände ausgebreiteten Funktionen des Seil- und Kabelwerks
In nächster Nähe zur Mülheimer Hütte entstand 1872 die Rheinischen Walzwerke AG, später bekannt werdend unter dem Namen E. Böcking & Co. Franz Carl Guilleaume war zu einem Drittel an dieser Gründung beteiligt, mit dem Motiv sich künftig von diesem Werk mit Walzdraht zu versorgen. Felten & Guilleaume stellten den eigenen Walzbetrieb ein und verkauften die Walzstraße an die Rheinischen Walzwerke.

Durch eine Initiative von Emil Guilleaume und mit einem entscheidenden Anteil an der Planung durch Franz Carl Guilleaume entstand 1873|74 nahe dem Walzwerk mit dem Carlswerk eine neue Produktionsstätte für Felten & Guilleaume. Die Gründungsanlage bestand aus dem Verwaltungsgebäude und einem Fabrikbau für Drahtseilerei und Kabelherstellung mit einer 400PS starken Dampfmaschine. In einiger Entfernung wurden 10 Arbeiterhäuser und Wohnhäuser für Beamte errichtet. Am 1. Juli 1874 war mit 150 Arbeitern, Angestellten und Beamten Betriebsbeginn im Carlswerk. Entwurf und Ausführung aller Bauten im Carlswerk wurden bis etwa 1905 dem Architekten Jean Wüst übertragen.

Außerordentlich wichtig für die Werksentwicklung war die Entscheidung des Reichspostamtes zur Entwicklung eines unterirdisch verlegten Telegrafennetzes. Der Auftrag ging zur Hälfte an Siemens & Halske und Felten & Guilleaume. 1876 wurde mit Berlin – Halle die erste von Felten & Guilleaume gelieferte Strecke in Betrieb genommen. Angesichts der Auftragslage wurde das Carlswerk ausgebaut. Neben dem Gründungsbau entstanden Kabelfabrik und Verzinkerei. 1877 wurden beide Produktionsbereiche von Wahn nach Mülheim verlegt. Die erste Ausbaustufe des Carlswerks war damit abgeschlossen.

Die weitere Werksentwicklung war geprägt durch eine stetig ausgeweitete Produktionspalette. Hergestellt wurden Folgeprodukte aus der Drahtherstellung: Stacheldraht, Kratzen, Klaviersaiten, Springfedern, Drahtmatten etc. Wie stark das Drahtseil aber das Selbstverständnis des Unternehmens prägte, zeigte 1881 der Vorschlag von Franz Carl Guilleaume zum Bau einer Hängebrücke über den Rhein. Die Brücke sollte auf Unternehmenskosten gebaut und durch Brückenzoll finanziert werden.

Für die Kabelherstellung wurde die Verarbeitung von Kupfer immer wichtiger. Kupfer hat eine wesentlich bessere Leitfähigkeit als Eisen und mit dem 1876 in Philadelphia von Alexander Graham Bell vorgestellten Telefon und den sich darauf aufbauenden Telefonnetzen wurde Kupfer ein unverzichtbares Material für die Kabelherstellung. Felten & Guilleaume reagierten mit dem Bau einer Kupferhütte und eines Kupferdrahtzugs 1885|86.

Werksansicht 1890
Wie wichtig dieser Betriebszweig war, zeigt die Erneuerung des Kupferwerks nun auch mit Walzwerk in den Jahren 1896 bis 1901. Seit der Gründung der ersten öffentlichen Kraftwerke wurde auch die Lieferung von „Lichtkabeln“ wichtig. Felten & Guilleaume erhielt Aufträge zum Aufbau ganzer Stromnetze für Barmen, Amsterdam sowie die Hafenanlagen in Hamburg, Lübeck und Bremen. Seit Beginn der 1890er Jahre bestanden im Carlswerk zwei Kabelfabriken: die Kabelfabrik 1 für Schwachstrom- insbesondere Fernmeldekabel und die Kabelfabrik 2 für Stromkabel. Felten & Guilleaume hatte nun endgültig die Entwicklung von einem Drahtwerk in ein Draht- und Kabelwerk erfolgreich vollzogen. Die Kabelherstellung war von einem organischen Anhängsel in eine bedeutende Betriebsabteilung entwickelt + worden. Das Werk zählte 1895 schon 3200 Mann.

Lageplan 1900
Wie überall in der Industrie war auch für Felten & Guilleaume der Übergang von einzelnen Dampfantrieben zu elektrischen Einzelantrieben ein wichtiger Schritt. Bislang war die Werksansicht durch zahlreiche Schornsteine geprägt. Nun entstand 1900 ein firmeneigenes Kraftwerk mit zwei 1000 PS-Dampfmaschinen und seit 1906 auch mit Dampfturbinen. Seit 1908 konnte der ganze Strombedarf des Werkes aus dem eigenen Kraftwerk gedeckt werden.

Weitere wichtige Bestandteile der Werksentwicklung war der Bau einer Gießerei und einer Maschinenbau-Werkstatt in den Jahren 1899|1900. Gießerei und Maschinenbau wurden errichtet, um neue Arbeitsmaschinen, deren Konstruktion als geheim galt, auf eigenem Werksgelände entwickeln und bauen zu können.

Immer wichtiger wurde auch die Gummiverarbeitung. Seit 1886 wurden eigene Gummiadern hergestellt, so dass der bis dahin notwendige Bezug aus England aufgegeben werden konnte. Nach Brand der alten Gummifabrik entstand 1900 eine neue Anlage in größerem Umfang. Produziert wurde hier auch technische Gummiware, wie Platten, Röhren, Schläuche, Presstücke usw.

Schon vor der Jahrhundertwende hatte Felten & Guilleaume 1896 den aus dem 18. Jahrhundert stammenden Mülheimer Hafenanlage an der Kranenstraße erworben. Der alte Hees’sche Tretkran wurde unter Ausbau der Kaimauern 1899 durch zwei Dampfkrane ersetzt worden. Diese alte Werft wurde bis 1924 genutzt.



Beteiligungen, Unternehmensexpansion, Konzernbildung

Seit Mitte der 1890er Jahre expandierte Felten & Guilleaume durch Übernahme von oder Beteilung an anderen Firmen. Mit dem Motiv zur besseren Beherrschung und Versorgung des süddeutschen Marktes kam es 1896 zum Kauf der Telegraphenuntensilienfabrik Joh. Jos. Obermeier in Nürnberg. Das gleiche Motiv galt für den Berliner Markt und mehr noch für die Präsenz in einer Stadt, aus der ein Großteil der Aufträge kam. 1897 wurde durch eine Gruppe westdeutscher Unternehmen unter Beteiligung von Felten & Guilleaume die Kupferwerke Deutschland GmbH mit einer Werksanlage in Berlin-Oberschöneweide in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem 1896 dort von der AEG gegründeten Kabelwerk Oberspree. Wenige Jahre darauf wurde 1900 die Berliner Präsens durch Ankauf der ebenfalls in Oberschöneweide gelegenen Telegraphenbauanstalt R. Stock & Co. noch ausgebaut. Es wurde weitergeführt unter dem Namen Kabelwerk Wilhelminenhof AG. Ebenfalls im Jahr 1900 erwarb Felten & Guilleaume einen Großanteil an den in Köln-Nippes vom Gummiwerk Clouth gegründeten Land- und Seekabelwerke, von dem 1905 auch die restlichen Anteile übernommen wurden. 807f Da für die Produktion von Seekabeln ein Küstenstandort notwendig wurde, entstand 1902 als Gemeinschaftsgründung mit der Deutsch-Atlantischen Telegraphengesellschaft an der Wesermündung in Nordenham die Norddeutschen Seekabelwerke. Felten & Guilleaume war nach dieser Phase der Konzernbildung mit horizontaler Expansion der größte Kabelkonzern auf dem europäischen Kontinent.

In eine andere Richtung ging die Übernahme der Elektrizitäts-AG W. Lahmeyer & Cie in Frankfurt. Das von dem Ingenieur Wilhelm Lahmeyer gegründete Unternehmen gehörte zu den großen Dynamofabriken in Deutschland und war dazu in der Lage, ganze Kraftwerke mit den entsprechenden Anlagen auszustatten. Felten & Guilleaume konnte nun dazu passend aus dem gleichen Unternehmen die Stromkabel liefern. Zur Übernahme musste Felten & Guilleaume allerdings ein Aktienpaket abgeben, so dass erstmals das Unternehmen nun kein reines Familienunternehmen mehr war. Zudem wurde der Firmenname geändert werden in: Felten & Guilleaume–Lahmeyerwerke AG.

Die Verbindung mit dem Frankfurter Unternehmen hatte jedoch nicht lange Bestand. Der heftigen Konkurrenz auf dem Sektor der Kraftwerks-Ausstatter fiel auch Lahmeyer zum Opfer. Lahmeyer wurde 1910 von der AEG übernommen. Dadurch kam zwischen Felten & Guilleaume und AEG eine Überkreuzbeteiligung zustande. Die AEG wurde zum Großaktionär bei Felten & Guilleaume. Mit Emil und Walter Rathenau saßen zukünftig zwei der wichtigsten und berühmtesten Personen der deutschen Industriegeschichte im Aufsichtsrat von Felten & Guilleaume. Anderseits hatte Max Guilleaume auch einen Sitz im Aufsichtsrat der AEG.


Die Ära Georg Zapf|Heinrich Fürth

Auch für die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg lassen sich mit Georg Zapf und Heinrich Fürth die bauliche Entwicklung des Carlswerks die beiden bestimmenden Namen nennen. Zapf war 1891 von Franz Clouth eingestellt worden zum Aufbau der Land- und Seekabelwerke, stand also nach Übernahme dieses Unternehmens auch für andere Aufgaben im Unternehmen zur Verfügung wurde 1906 zuerst stellvertretendes, dann ordentliches Vorstandsmitglied und war ab 1914 technischer Direktor im Carlswerk. Der Baumeister Heinrich Fürth tritt erstmals mit Unterschrift unter Bauplänen 1906 in Erscheinung und war zu diesem Zeitpunkt gleich mit dem Bau der Direktion beauftragt. Anders als Wüst war Fürth ein angestellter Architekt und leitete die spätestens jetzt begründete Bauabteilung im Carlswerk bis etwa 1932. Seine enge Zusammenarbeit mit Georg Zapf belegen zahlreiche erhalten gebliebene Notizzettel, die Zapf an seinen Baumeister teilweise auch mit kleinen und Kleinstaufträgen an ihn richtete.

Mit dem gleichzeitigen Dienstantritt von Zapf und Fürth stellte sich die Frage nach einer möglichen räumlichen Ausdehnung des Carlswerks. Schon zuvor waren einzelne Bauten östlich der Zehntstraße errichtet worden. Mit Einziehung der Zehntstraße ins Werksgelände 1908 gab es nun weitere Entwicklungsmöglichkeiten im Osten zumindest bis zur Eisenbahntrasse Köln-Düsseldorf-Duisburg. Die Zehntstraße bildete fortan das breite Nord-Süd-Rückgrad im Gefüge der Werksanlage. Als Ersatz musste an der neuen Werksostgrenze die Carlswerkstraße gebaut und durch eine lange Werksmauer vom Werksgelände getrennt werden. Auch ein Teil der Schanzenstraße wurde eingezogen und erhielt bis 1910 einen neuen Straßenverlauf, um die anschließend errichtete Hauptverwaltung direkt an das Werksgelände anschließen zu können. Denkschrift S. 66 Südlich vom 1906 errichteten und in seiner Schräglage noch die alte Führung der Schanzenstraße anzeigende Direktionsgebäudes wurde die Eulenberg’sche Maschinenfabrik erworben. Auch die Übernahme des Walzwerks E. Böcking & Co., ein Unternehmen, an dem Felten & Guilleaume seit 1872 beteiligt war, vergrößerte die Planungsspielräume nach Westen. Es war am Standort Mülheim für Felten & Guilleaume eng geworden. Platz wurde nicht nur durch räumliche Expansion geschaffen, sondern auch durch Auslagerung von Produktionsteilen. Die nach dem Brand im Jahr 1900 gerade neu untergebrachte Gummifertigung wurde 1906 dorthin verlegt, wo man das größere Material- und Fertigungswissen für diesen Produktionszweig hatte: zur Gummifabrik Clouth nach Köln-Nippes.

Die Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg war durch einige besonders anspruchsvolle Bauvorhaben geprägt, die sowohl in ihrer Größenordnung, wie auch in der verwirklichten Architektur neue Maßstäbe setzten. Möglich, dass hier die Einflüsse der AEG-Mitglieder im Aufsichtsrat, zumal die AEG mit dem 1907 zum künstlerischen Beirat bestimmten Peter Behrens einen epochalen Beitrag zur Entwicklung der Industriekultur leistete. Nachweisen lässt sich die Einflussnahme durch die bis 1914 noch selbstständige Stadt Mülheim|Rhein, deren Stadtbauamt eine reichere architektonische Ausarbeitung der Fassaden zur Schanzenstraße wünschte.

Luftbild 1929. Im Vordergrund rechts die Kabelfabrik 1 und links Hauptverwaltung
Luftbild 2012
Besonders drei Bauaufgaben prägten diese Jahre: die Kabelfabrik 1, die Hauptverwaltung und die Neue Seilerei. Für diese drei Baukomplexe wurde eine neue Architektur entwickelt, mit der die vorherige Entwicklungs- und Bauphase im Werk deutlich durch Schaffung neuer Bauformen abgelöst wurde. Zugleich erhielt das Carlswerk nach Westen eine neue monumentale und repräsentative Werksfront. Das noch in herkömmlichen Formen errichtete Direktionsgebäude wurde zukünftig eingerahmt durch die 1913|14 entstandene Kabelfabrik 1, Hauptverwaltung und den Pförtner III mit der Verbindungsbrücke zwischen Direktion und Hauptverwaltung. Nach einem erhalten gebliebenen Plan von 1914 sollte diese Werksfront im Westen sogar noch weiter reichen und im Süden durch einen gleichartigen Baukörper wie für die Kabelfabrik 1 mit neuartig gestaltetem Werkstor 1 abgeschlossen werden. Wer für die Planungen als Architekt verantwortlich ist, ist ungewiss. Die erhalten gebliebenen Pläne sind leider nicht signiert. Unter der erwähnten Fassadenabwicklung zur westlichen Schanzenstraße steht unter Ort und Datum (Carlswerk, 14. April 1914) nur ein schlichtes „P.“ In den Verhandlungen mit der Stadt Mülheim ist von einem Baurat Jansen die Rede, der sich mit der Stadt zwecks dekorativer Ausgestaltung der Fassaden in Verbindung setzen sollte. Baumeister Heinrich Fürth wird an den Projekten zumindest beteiligt gewesen sein.
Der Aufbruch in ein neues Zeitalter der architektonischen Gestaltung ging einher mit dem technologischen Riesenprogramm zur Erneuerung sämtlicher Maschinenantriebe durch den Ersatz von Dampfkraft durch die Verwendung elektrischer Einzelmotoren. Mit dem ständigen Ausbau des Kraftwerks, für das 1914 eine Dampfturbine beschafft worden war, wurde bis 1914 die Elektrifizierung des Werkes durchgeführt. Gegründet auf die eigne Stromversorgung durch das 1900 erbaute Kraftwerk erfolgte seit 1910|11 die Elektrifizierung aller Dampfbetriebe.


1920er|1930er Jahre

Lageplan 1924. Unten an der Schanzenstraße das Kabelwerk 1 und die Hauptverwaltung. Rechts die Keupstraße und rechts oben die Arbeitersiedlung
Die wesentlichen Unternehmensgrundlagen der Zeit nach dem Krieg wurden schon vor Kriegsausbruch geschaffen. Einem allgemeinen Trend zur vertikalen Konzentration in der Wirtschaft folgend, kaufte Felten & Guilleaume 1911 das luxemburgische Hüttenwerk J. Collart & Co und ergänzte die Hütte durch ein Stahl- und Walzwerk. Damit waren die Grundlagen für die Verbindung mit der luxemburgisch-lothringischen Montanindustrie gelegt. Auch der Erwerb der Braunkohlengrube Liblar südlich von Köln diente der eigenen Grundversorgung. Während die Grube über Jahrzehnte hinweg in Händen des Carlswerks blieb, wurde die luxemburgische Hütte allerdings nach dem Krieg wieder verkauft an eine französische Gesellschaft. Die Verbindung zur luxemburgisch-lothringischen Industrie blieb aber bestehen und eine neue Verknüpfung ins Aachener Revier wurde geschaffen. Nach Verdoppelung des Aktienkapitals auf 120 Mio Mark erhielten die luxemburgische ARBED und das Hüttenwerk Rothe Erde in Aachen Aktienpakete von jeweils 28 Mio Mark. Einen Aktienanteil von 4 Mio Mark übernahm die Internationale Bank Luxemburg. Das Carlswerk war damit zur Hälfte im Eigentum auswärtiger Anteilseigner. Später vergrößerte die ARBED noch ihr Aktienkapital am Carlswerk und wurde Mehrheitsaktionär. Felten & Guilleaume war damit Teil eines der größten europäischen Montanunternehmens geworden. Ursprüngliches Motiv für diese Verbindung war die Belieferung des Carlswerks mit Halbzeugen aus dem luxemburgisch-lothringischen Revier. Die ARBED hatte sich 1920 zur jährlichen Lieferung von 45–90.000t Halbzeuge über einen Zeitraum von 30 Jahren verpflichtet. Nun also war der Rohstoff- und Halbzeugelieferant der bestimmende Part im Unternehmen geworden.

Nach dem Krieg expandierte Felten & Guilleaume 1925 durch Übernahme der Firmen Meirowsky & Co in Porz (von da an Dielektra AG) und Clouth in Nippes auch im Kölner Raum. Mit der Übernahme von Clouth wurde die Gummiproduktion neu geordnet mit einer Aufgabe dieses Produktionszweiges im Carlswerk.

Eine der wichtigsten baulichen Maßnahmen der 1920er Jahre war die Anlage eines neuen Rheinhafens. Nach einer Planung von 1910/11 entstand 1922 bis 1925 der neue Werkshafen am Schlackenberg, einem Überbleibsel aus der Zeit der Mülheimer Hütte (1863–74). Der Hafen wurde von der Stadt Köln gebaut und der Fa. Felten & Guilleaume in Erbpacht auf 99 Jahre überlassen. Statt regelmäßiger Zahlungen wurde der Stadt Köln der bisherige Hafen an der Kranenstraße übertragen. Zwischen dem Hafen am Schlackenberg bestand eine Gleisverbindung über das Böcking-Gelände.

In der Produktion war seit den 1920er Jahren die verstärkte Verarbeitung von Aluminium die prägende Tendenz. Begonnen hatte man damit bereits während des Ersten Weltkrieges. Aluminium war ein wichtiger Ersatzstoff für das aus Übersee bezogene und daher in den Kriegsjahren schwer zu beschaffende Kupfer und wurde verwendet beim Bau von Frei- und Energieleitungen. Im Zuge der Autarkiebestrebungen spielte die Hinwendung zum Aluminium auch in den 1930er Jahren eine große Rolle. Es entstanden neue Hallen für die Aluschmelze und eine Strangpresse. Weiterhin entstanden in den 1930er Jahren ein Pupinspulenwerk und in Wiederaufnahme eines schon abgegebenen Produktionszweiges auch wieder eine Gummiadernfabrik. Seit 1942 werden thermoplastische Kunststoffe verwendet und Papier- und Styroflexkondenstoren produziert. Die Kondensatorenfabrik wurde schnell zu einem umfangreichen Betrieb.

Bei den Drahtseilen konnte man 1929 für die Mülheimer Brücke und 1939–41 für die Rodenkirchener Brücke die Tragseile für die jeweils weitestgespannten Hängebrücken Europas liefern. Für Schweden wurde eine mit 104km Länge die längste Seilbahn der Welt mit Drahtseilen von Felten & Guilleaume erbaut.

1930 erfolgte die bis heute präsente unternehmenstechnische Aufgliederung in die Abteilungen „Kupfer und Kabel“ und „Eisen und Stahl“. In der Presse wurde als Motiv die Übergabe der „Kupfer und Kabelfabrik“ an eine amerikanische Gruppe vermutet. Die beiden künftig getrennt geführten Gesellschaften blieben jedoch in den Händen der Mutterfirma. Während der Weltwirtschaftskrise verlor Felten & Guilleaume 8000 seiner 17000 Beschäftigten.


1950er Jahre

Lageplan 1954
Nach den Bombenangriffen im Herbst 1944 kam die Produktion weitgehend zum Erliegen. Da die Werksanlagen jedoch weitgehend unversehrt blieben, konnte nach Kriegsende im Werk bald wieder gearbeitet werden. Ein Produktionsschwerpunkt war die Herstellung von Kabeln in Zusammenarbeit mit Phillips Fernmeldeanlagen | Nürnberg. Das neue Kupferwerk 1955 (Gebäude 403) und die Kunststoffhalle (Geb. 381) zeugen von diesem Boom. Aber auch die Produktion von Drahtseil blieb ein erfolgreicher Geschäftszweig, wie die Baumaßnahmen im Bereich der Neuen Seilerei (Erweiterung Neue Seilerei Geb. 170, 1956 und Halle 449) belegen. 1960 arbeiteten im Mülheimer Werk 23560 Mitarbeiter.

Knapp 40 Jahre nach Aufspaltung des Carlswerks in Kabel- und Drahtproduktion verkaufte 1969 der Mehrheitseigentümer ARBED die Hälfte seines Aktienkapitals an die niederländische Firma Philips. ARBED behielt den Eisen- und Stahlbereich unter dem Namen ARBED – F & G Drahtwerke Köln.

Im Kabelwerk wurde unter Philips wieder investiert. Spektakuläre Erzeugnisse waren die 30-kV-Leitungstrossen zur Stromversorgung der Tagebaugroßgeräte im rheinischen Braunkohlebergbau. Philips übernahm 1979 auch die restlichen Anteile von ARBED am Kabelwerk, gliederte das Kölner Werk der Tochter „Philips Kommunikations Industrie AG“ (PKI) ein, verlor jedoch bald das Interesse an diesem Produktionszweig und brachte das Kölner Werk unter dem Namen „Felten & Guilleaume“ an die Börse. Die GEW Köln AG wurde mit 20% größter Einzelaktionär. 1993 verkaufte Philips das Tochterunternehmen PKI an Nokia. Es ging von dort an Lucent und wurde von dort eine vollständige Tochter des Siemens-Konzerns. 1994 wurde die Fernmeldekabelproduktion in Mülheim eingestellt. Mit einer kurzen Zwischenstation bei der Bonner Möller-Gruppe wanderte die F & G Energietechnik AG 1998 mit 3700 Mitarbeitern zur dänischen nkt-cables. Das neue Unternehmen konzentrierte in Mülheim seine Papierkabelfertigung bis das Werk 2007 an den Immobilienverwerter BEOS|Berlin verkauft wurde.

Drahtwerk. Foto 2005
Das Drahtwerk wechselte nach dem Strukturwandel in der Montanindustrie an der Saar 1984 zur Saarstahl AG und wurde nach dem Konkurs dieses Unternehmens 1995 in DWK Drahtwerk Köln GmbH umbenannt. Das Werk stellt heute Spanndrahtstähle und –litzen, Federstahldrähte, Stahldraht für Seilereien, Drähte und Litzen für Seilbrücken und Drähte für die Kabelindustrie her.
Das Werksgelände von Felten & Guilleaum befindet sich seit mehreren Jahrzehnten in einem Prozeß des Strukturwandels. Aus beiden Unternehmensbereichen (Kupfer|Kabel und Eisen|Stahl) wurden seit 1980 Gebäude an örtliche Investoren verkauft. Die Hallen wurden schrittweise umgewandelt in Kultur- und Medienstandorte und entwickelten sich zu teilweise gesuchten Büroplätzen für Betriebe aus den Zukunfts- und Kreativbranchen.