Krupp | Reparaturwerkstatt II
Essen, Altendorfer Straße
Walter Buschmann
Reparaturwerkstatt II


Entstehungsgeschichte

Die Jahrzehnte um 1900 waren bei der Fa. Krupp wie auch sonst in der deutschen Industrie gekennzeichnet durch Elektrifizierung und Rationalisierung. Das Werk erlebte mit ca. 25.000 Beschäftigten in dieser Zeit eine umfassende Modernisierungsphase. Durch Erweiterung und Erneuerung der Werksanlagen sollte die Produktion konzentriert, der Materialfluß verbessert, die Arbeitsteilung ökonomischer und die Arbeitsorganisation gestrafft werden (Krupp 1812-1912, S. 413). Dem ehrgeizigen Programm zur Rationalisierung der Produktion stand eine neue Philosophie zur Konstruktion und Gestaltung der Werkstattbauten zur Seite. Die Werksarchitektur der Zukunft war die moderne Eisenkonstruktion, war der Bau großzügiger Hallen mit Stahlfachwerkaußenwänden, eine Bauweise, die beispielgebend mit der 9. Mechanischen Werkstatt verwirklicht wurde, einem der größten Werkstattbauten der damaligen Welt (nicht erhalten).

Als Vorzüge dieser Hallenkonstruktionen galten: gute Widerstandsfähigkeit gegen die in einer Bergbaustadt wie Essen gravierenden Bodensenkungen, geringe Wandstärken mit großen Lichtöffnungen, weite Räume mit guter Ventilation und der Möglichkeit zur übersichtlichen Anordnung der Arbeits- und Transportmaschinen, leichte Erweiterbarkeit (Krupp 1812-1912, S. 415). Während die Werkstattbauten mit optischem Bezug zum öffentlichen Raum noch lange mit massiven Backsteinwänden erstellt wurden, war das innere Bild des Werkes zunehmend geprägt von reichbefensterten Stahlfachwerkbauten.

Die Reparaturwerkstatt II fügt sich in Funktion und Erscheinungsbild in die allgemeinen Tendenzen im Krupp'schen Werk ein.

Seit ihren Anfängen war die Fa. Krupp bemüht, Reparaturen am eigenen Maschinenbestand selbst durchzuführen und darüber hinaus die Maschinen auch selbst herzustellen. Die Reparaturwerkstätten, denen diese Aufgabe zufiel, waren lange verstreut über das ganze Werksgelände, untergebracht in Anbauten oder Teilbereichen anderer Werksanlagen. So war die Reparaturwerkstatt I in einem Annex zum Schmelzbau untergebracht. Nach Verlegung der Reparaturwerkstatt II in die frühere Kesselschmiede, wurde daraus nach mehrfachen Erweiterungen die Zentrale des Reparaturbetriebs für die Gußstahlfabrik. Kernbau war eine basilikal aufgebaute Halle, die 1887 (vgl. Krupp-Archiv WA 135) oder früher errichtet und im 2. Weltkrieg zerstört wurde. 1908 plante man zur Erweiterung eine neue dreischiffige Halle, die parallel zur bestehenden Werkstatt die Funktionsfläche der Reparaturzentrale wesentlich vergrößern sollte (Krupp-Archiv, ohne Sig.). Als erste Stufe dieser Planung wurde zunächst nur das östliche Schiff verwirklicht. 1916 entstanden nach neuen Plänen, die sich in der Disposition an der Planung von 1908 orientierten, die beiden anderen Schiffe (Stadtarchiv Essen 11014).

In der Reparaturwerkstatt II baute man viele wichtige Maschinen für die Krupp-Werke, darunter einen der ersten Dieselmotoren, Gichtgasmaschinen für die Friedrich-Alfreds-Hütte/Duisburg-Rheinhausen, zahlreiche Dampfmaschinen und Dampfturbinen, Dampfhämmer, Schmiedepressen und sehr viele Werkzeugmaschinen (Krupp 1812-1912, S. 88).

Das überlieferte Gebäude ist eine dreischiffige Stahlfachwerkhalle. Über dem Mittelschiff erhebt sich ein trapezförmiges Dach mit Stahlbindern und Belichtungsraupe im Firstbereich. Die beiden schmaleren Seitenschiffe sind mit Satteldächern über Stahlbindern gedeckt.

Besonders kräftig ausgeführt ist die Tragkonstruktion des Mittelschiffs. Die Stützen entwickeln sich punktförmig aus den Fundamenten heraus und sind bis unter die Kranbahn in Fachwerkbauweise ausgeführt. Von der Kranbahn setzen sich die Stützen bis zum Auflager der Dachbinder als geringer dimensionierte, nach oben wieder punktförmig auslaufe Fachwerke fort. Die Kranbahn, als kräftig bemessener Vollwandträger ausgebildet, trägt einen Doppelbrückenkran in Fachwerkbauweise (Fa. Ardeltwerk/Osnabrück, 30 t Tragkraft, 1959).
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Detailfoto der Fassadenkonstruktion der Halle (links) und der neuen Verglasung (rechts)
Die tragende Konstruktion der Außenwände besteht aus Stützen, die sich jeweils aus zwei U-Profilen mit aufgenieteten Laschen zusammensetzen, sowie aus schwächeren Riegeln und Stielen zwischen den Fenstern. In der Westfassade sitzen schlanke Hochrechteckfenster, die paarweise mittig in den Feldern zwischen den Ständerkonstruktionen angeordnet sind. In den Ost-, Süd- und Nordfassaden wird die Halle von horizontalen Fensterbändern belichtet. Alle Fenster haben kleinteilige Metallsprossenverglasung.

Beide Seitenschiffe der Halle werden von gleich hoch angeordneten Geschoßdecken unterteilt. Das westliche Seitenschiff ist über dieser Decke mit einer Wand vom Mittelschiff abgeteilt. Das östliche Seitenschiff ist in ganzer Höhe durch eine Zwischenwand - teilweise mit Metallsprossenfenstern - vom Mittelschiff abgetrennt. In den Obergeschossen der Seitenschiffe befanden sich Dreherei, Schleiferei, Fräserei und Reparaturschlosserei. Im südwestlichen Bereich lag das durch eine zusätzliche Geschossdecke unterteilte Magazin. Die benachbarte Schmiede - ebenfalls im östlichen Seitenschiff - ist noch ausgestattet mit Esse, Presse und Dampf-/Luftkammer (Fa. Beché/AEG, 1951). Von dem Mittelschiff aus, in dem mit Hilfe des schweren Kranes die Montage der Maschinen und Werkstücke stattfand, erfolgt mit Stahltreppen und geräumigen Podestflächen die Erschließung der Obergeschosse in den Seitenschiffen. Auf den Podesten befinden sich verglaste Meisterbuden, ebenso wie auf den angrenzenden Geschoßebenen.

Vom Obergeschoß des westlichen Seitenschiffs führt eine Brücke in Stahlfachwerkkonstruktion zur VIII. Mechanischen Werkstatt, die zeitweise ebenfalls zum Funktionskomplex der Reparaturwerkstatt II gehörte.



Bedeutung

Die Halle der Reparaturwerkstatt II stammt aus einer wichtigen Entwicklungsperiode der Krupp'schen Gußstahlfabrik und dokumentiert die Tendenz zur Rationalisierung durch Konzentration der Produktionsbereiche. Die Halle zeugt (zusammen mit der VIII. Mechanischen Werkstatt) von der Bedeutung der Reparaturbetriebe, die zur Eigenversorgung des Unternehmens mit wichtiger maschineller Ausstattung dienten.

Weiterhin zeigt der Bau eine wichtige Tendenz in der Werkstattarchitektur, nämlich den zur Jahrhundertwende verstärkt zu beobachtenden Übergang von massiven Mauerwerks- zu reinen Stahlkonstruktionen. Die baukünstlerisch herausragende Maschinenhalle der Zeche Zollern 2/4 in Dortmund von 1902 war in der Fabrik- und Zechenarchitektur kein singuläres Ereignis und bedarf zur Verdeutlichung der allgemeinen Tendenz beim Bau von Fabrik- und Zechenhallen zur Jahrhundertwende Bauwerke ähnlicher Provenienz. Dabei ist festzustellen, dass aus den Jahrzehnten rund um die Wende zum 20. Jahrhundert Stahlfachwerkbauten bereits selten geworden sind. Umso höher müssen solche Objekte wie die Krupp'sche Reparaturwerkstatt II eingestuft werden, die zugleich von allgemeiner historischer Bedeutung sind (Geschichte der Fa. Krupp) und einen architekturhistorischen Beitrag zur Konstruktionsgeschichte liefern. Bauten wie diese Halle, mit ihren reich durchfensterten Stahlfachwerkfassaden, waren Wegbereiter für eine Architektursprache, die in den 1920er Jahren u.a. von Fritz Schupp und Martin Kremmer (vgl. Zollverein 12 /Essen) oder in den 1940er/1950er Jahren von Mies van der Rohe (vgl. Illinois Institute of Technologie/Chicago) zur hohen Blüte entwickelt wurden.
Weiterhin spielt zur Beurteilung der Reparaturwerkstatt II der städtebauliche und stadtbaugeschichtliche Gesichtspunkt eine Rolle. Diese Halle vermag zusammen mit den benachbarten denkmalwerten Krupp-Bauten (VIII. Mechanische Werkstatt, Geschoßdreherei, Brücke der Werkseisenbahn über die Altendorfer Straße, Preß- und Hammerwerk) noch annähernd einen Eindruck vom architektonisch-/städtebaulichen Charakter Krupp-Stadt zu vermitteln.
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Ansicht der Halle mit der neuen Verglasung
Die Halle wurde umgebaut für Zwecke der Folkwangschule Essen und in diesem Zusammenhang mit einer Glasfassade vollständig eingehüllt, so dass der Ursprungsbau in seiner Anschaulichkeit vom öffentlichen Raum her stark beeinträchtigt ist.






Literatur

• Friedr. Krupp AG 1812-1912, Essen a.d. Ruhr o.J. (1912)
• Krupp 1812-1912. Zum 100jährigen Bestehen der Firma Krupp und der Gußstahlfabrik zu Essen-Ruhr, Essen 1912
• Walter Buschmann (Hg.), Eisen und Stahl. Texte und Bilder zu einem Leitsektor menschlicher Arbeit und ihrer Überlieferung, Essen 1989