Rheinbrücke Emmerich
Klever Straße
Texte und Dokumente
Walter Buschmann: Rheinbrücke Emmerich
Literatur




Walter Buschmann
Rheinbrücke Emmerich


Hängebrücken

Ketten-Hängebrücke über Menai-Straits von Thomas Telford, 1826
Zu den großartigsten Ingenieurbauwerken des 19. und 20. Jahrhunderts gehören die Hängebrücken. Hervorgegangen aus den mit Naturmaterialien (Lianen, Bambusrohren, Seilen aus Pflanzenfasern) gefertigten Laufstegen in Asien und Südamerika gelangten die Hängebrücken im 19. Jahrhundert zunächst unter Verwendung schmiedeeiserner Ketten, dann mit Drahtseilen zu gewaltigen Dimensionen. Schon die epochale Kettenhängebrücke über die Meeresenge Menai Straits zwischen Wales und der Insel Angelsea 1826 nach Entwurf von Thomas Telford hatte eine Spannweite von 180 Metern. Drahtseile wurden schon seit 1816 für Hängebrücken verwendet. Die Drahtseilbrücke über das Saanetal bei Fribourg von 1832-34 war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit 273 Metern Spannseite die kühnste Konstruktion dieser Bauart.

Hängebrücke über das Saanetal bei Fribourg, 1834. Federzeichnung Karl Friedrich Schinkel. Abbruch der Brücke: 1930
Echte (erdverankerte) und unechte Hängebrücken (Zügelgurtbrücken) über den Rhein
Das größte Problem der Hängebrücken war lange Zeit ihre Instabilität bei dynamischen Belastungen, so dass bis etwa 1900 die großen Brücken für die Eisenbahnen als Fachwerk- oder Bogenträgerkonstruktionen entstanden. Erst durch Einführung und Entwicklung von Versteifungsträgern direkt unter den Fahrbahnen konnten die Hängebrücken auch stärkere Verkehrsbelastungen verkraften. Die Arbeiten des deutschstämmigen Amerikaners John A. Roebling mit der Niagara-Falls-Bridge (1851-55) und besonders mit der Brooklyn-Bridge (1870-83) verschafften der Hängebrücke zumindest für den wachsenden Individualverkehr den Durchbruch. Zwei weitere New Yorker Brücken, die Williamsburgh-Bridge von 1903 und die Manhattan-Bridge von 1906 öffneten der Hängebrücke vor allem als weitgespannte Autobrücke den Weg ins 20. Jahrhundert. Geprägt von den amerikanischen Brücken begann nun die Erfolgsgeschichte der deutschen Rheinbrücken in Hängekonstruktion. Ihre Besonderheit bestand zunächst darin, daß sie wegen der als schwierig eingestuften Gründungsverhältnisse im Uferbereich des Rheins als in sich verankerte (= unechte) Hängebrücken ausgeführt wurden. 1913-15 entstand in dieser Form in Köln die Deutzer Brücke (nach dem Krieg als Kastenträgerbrücke wiederaufgebaut) und 1927-29 die Mülheimer Brücke. Erstmals als erdverankerte (= echte) Hängebrücke wurde 1938-41 die Rodenkirchener Rheinbrücke errichtet. Mülheimer und Rodenkirchener Brücke waren jeweils in ihrer Zeit mit 315 Metern und 378 Metern Spannweite die größten Hängebrücken Europas.

Dominierend bleiben die amerikanischen Beispiele von denen die Golden Gate Bridge mit 1280 Metern Spannweite besonders berühmt wurde.


Entstehung der Rheinbrücke Emmerich-Kleve

Zusammenhängend mit Entstehung der Autobahn Oberhausen-Arnheim, der sogenannten "Hollandlinie" wurde eine verbesserte Anbindung des linken Niederrheins an diese Autobahn geplant. Die neue Brücke sollte eine Fährverbindung zwischen Emmerich und Warbeyen ersetzen, bei deren Unterbrechung - etwa im Winter durch Eisgang - der Autoverkehr den 70 km langen Umweg über Wesel nehmen musste. Von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion wurde, wegen des starken Schiffsverkehrs, eine Mindeststromöffnung von 330 Metern und eine wünschenswerte Öffnung von 420 Metern gefordert. Um schwierige Pfeilergründungen zu vermeiden, wurde die Spannweite über den Strom auf 500 Meter festgelegt. Die beiden Seitenöffnungen bis zu den Verankerungsbauwerken hatten jeweils eine Länge von 151,5 Metern. Am linken Rheinufer war zusätzlich eine Vorlandbrücke von 341,0 Metern Länge notwendig, die als über fünf Felder durchlaufende Spannbetonbrücke realisiert wurde.

Entwurf einer Monokabelbrücke für Emmerich von Leonhardt, Krupp, Lohmer. 1961
1960 erfolgte der Planungsauftrag für die Brücke durch den Bundesminister für Verkehr an das Land Nordrhein-Westfalen. Der für die Durchführung zuständige Landschaftsverband Rheinland richtete beim Autobahnamt Wesel eine Neubauabteilung ein. Im Zusammenhang mit der Ausschreibung der Brücke wurde von dem Ingenieur Fritz Leonhardt und dem Architekt Gerd Lohmer eine Monokabel-Hängebrücke vorgeschlagen, die jedoch nicht verwirklicht wurde. Man entschied sich für eine erdverankerte (= echte) Hängebrücke amerikanischer Bauart, nach dem Entwurf des Brückenbaureferates des Landschaftsverbandes Rheinland unter Mitwirkung von Dr.-Ing. Homberg. 1962 erfolgte die Grundsteinlegung durch Ministerpräsident Dr. Franz Meyers unter großer Anteilnahme durch die Bevölkerung - beides Zeichen für die große regionalpolitische Bedeutung der Brücke. Im Juni 1965 war die Brücke fertiggestellt und wurde dem Autoverkehr übergeben.

Rheinbrücke Emmerich. Foto 2015
Die Hängebrücke von Emmerich Nachdem in der Nachkriegszeit über den Rhein fast durchweg Fachwerk-, Großbalken-, Kastenträger- oder Schrägseilbrücken entstanden waren, wurde der Neubau in Emmerich als erdverankerte Hängebrücke durchgeführt. Erste Erfahrungen mit dieser Bauart hatte man 1938-41 beim Bau der Rodenkirchener Autobahnbrücke sammeln können. Problematisch war die Stabilität der Ankerblöcke an den Ufern, die die Zugkraft aus den Seilen aufnehmen mussten. In Rodenkirchen hatte man Großversuche vorgenommen um den Reibungswiderstand zwischen Kiesuntergrund und Ankerblock festzustellen. Das Ergebnis waren riesige Verankerungsbauwerke aus Beton von 50 Metern Länge, 38 Metern Breite und 17,8 Metern Höhe. Die günstigen Erfahrungen in Rodenkirchen führten dazu, dass die Mülheimer Brücke nach ihrer Zerstörung 1949-51 als erdverankerte (= echte) Hängebrücke wiederaufgebaut wurde. Da der Baugrund für die Brücke bei Emmerich durchweg aus Sand und Kies bestand, wurde hier die Gründung ebenfalls sorgfältig durch Forschungsaufträge an der RWTH Aachen geprüft. Ergebnis waren Verankerungsbauwerke die - wie die Pylonenpfeiler - 9,0 und 10,0 Meter tief im Senkkastenverfahren in den Boden eingelassen wurden. Auch die sichtbaren Ankerblöcke erreichen noch gewaltige Ausmaße (ca. 40 x 27 x 25 Meter). Die Betonbauwerke erhielten Verblendungen aus bruchrauhem Granit. In das Verblendmauerwerk wurden in die Längsseiten jeweils Wappentafeln aus Granit eingelassen: Richtung Holland als Sinnbild der nahen Grenze beidseitig je ein Bundesadler und auf den anderen Seiten rechtsrheinisch das Emmericher Wappen und linksrheinisch das Wappen des Landkreises Kleve.

Pylone der Rheinbrücke Emmerich. Foto 1991 Jürgen Gregori
Über den Pylonenpfeilern erheben sich die ca. 76,5 Meter hohen Pylone in genieteter Stahlkonstruktion. Anders als bei den amerikanischen und den beiden Kölner Hängebrücken sind die beiden Ständer der Pylonen leicht schräg ausgerichtet. Horizontale Riegel verbinden die Ständer unter der Fahrbahn und ganz oben am Auflager der beiden Kabel.

Die Kabel bestehen aus 61 vollverschlossenen Seilen mit je 51,4 mm Durchmesser. Sie bilden im Querschnitt ein auf der Spitze stehendes regelmäßiges Sechseck. Die beiden Hauptkabel sind über 100 senkrechte Seile, den sogenannten Hängern , mit den Brückenhaupt- oder Versteifungsträgern verbunden.

Versteifungsträger der Rheinbrücke Emmerich.
Seit den Brücken von John A. Roebling (Niagara, Brooklyn) und dem für die Brückenbauingenieure geradezu traumatischen Erlebnis der 1940 durch Sturm zum Einsturz gebrachten Tacoma-Narrows-Bridge südlich von Seattle wurde den Versteifungsträgern stärkere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Brücke bei Seattle war unzureichend ausgesteift, so dass sie durch den Wind in Schwingung geriet und zerbrach. Seither wurden die Hängebrücken in den USA auch durch Nachrüstung mit extrem hohen Fachwerkträgern versehen. Der Versteifungsträger für die Emmericher Brücke ist ebenfalls in Fachwerk konstruiert mit einer Höhe von 4,25 Meter. Windverbände auf Höhe der Fachwerkuntergurte steifen die Brücke zusätzlich aus. Über den Versteifungsträgern bestehen die Fahrbahntafeln aus ebenem Deckblech mit Asphaltbelag. Die Gehwege sind beidseitig als auskragende Bauteile an die Versteifungsträger angefügt.


Bedeutung

Rheinbrücke Emmerich. Foto 2015
Der damals amtierende Bundesverkehrsminister Seebohm unterstrich nach Fertigstellung der Brücke ihre schlichte Schönheit und unaufdringliche Größe. Sie sei eine Bereicherung des Landschaftsbildes. In der Tat sind Hängebrücken durch die extrem filigrane Ausbildung der einzelnen Bauteile und den harmonischen Schwung der Seile stets von einer beeindruckenden Ästhetik. Die flache Lage über dem Strom, die geringe Dimension der Versteifungsträger unter der Fahrbahn, die in ihrer Wirkung durch die vorgelagerten Gehwege noch eleganter erscheinen und die Schrägstellung der Pylonstützen sind die Besonderheiten der Emmericher Rheinbrücke. Durch diese Elemente erhält die Brücke eine hervorragende Übereinstimmung mit dem Landschaftsbild und dem Stadtbild von Emmerich. Sie ordnet sich ein, ohne auf Dominanz zu verzichten.Zugleich ist die Brücke wichtig für die Geschichte der Hängebrücken. Sie zeigt den deutschen Beitrag zur Entwicklung dieser Konstruktionsart. Sie ist die größte Hängebrücke über den Rhein und ist besonders im Vergleich zu den Kölner Hängebrücken (Mülheim und Rodenkirchen) eine wichtige Variation dieses konstruktionsgeschichtlichen Themas.

Schließlich war die Brücke bedeutend für die Geschichte des unteren Niederrheins. Sie bedeutete eine engere Verknüpfung der beiden Rheinufer und verbesserte die Verbindungen zwischen Deutschland und Holland.


Literatur

Brückenschlag am Niederrhein. Eine kulturgeographische Festschrift zur Einweihung der Rheinbrücke Kleve-Emmerich am 3.9.1965, Düsseldorf 1965

Buschmann, Walter: Die Rhein-Brücken von Köln, in: Denkmalpflege im Rheinland 12, 1995, S. 76-92

Klingenberg, Wilhelm: Neubau einer Hängebrücke über den Rhein. In: Der Bauingenieur, Band 37, Springer-VDI, Düsseldorf 1962, S. 237–239

Leonhardt, Fritz: Brücken, Stuttgart 1994

Schierk, Hans-Fried: 100 Jahre feste Rheinbrücken in Nordrhein-Westfalen 1855-1955 (= Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen Nr. 3190, Fachgruppe Geisteswissenschaften)