Deutsche Norton-Gesellschaft
Wesseling, Kronenweg/Vorgebirgsstraße 10
Texte und Dokumente
Walter Buschmann: Deutsche Norton-Gesellschaft in Wesseling
Literatur





Walter Buschmann
Deutsche Norton-Gesellschaft in Wesseling

Die Deutsche Norton-Gesellschaft mbH, ursprünglich ein Unternehmen zur Herstellung keramisch gebundener Schleifscheiben hat amerikanische Ursprünge. Das Unternehmen lässt sich zurückführen auf eine 1858 durch Franklin B. Norton und Frederick Hancock in Worcester/Massachusetts gegründete Töpferei. Im Unterschied zu den aus Naturstein hergestellten Schleifräder, kam einer der bei Norton und Hancock beschäftigten Töpfer auf die Idee, Schleifräder aus einer Tonmischung mit Schmirgelkörnern herzustellen. Auf Grundlage dieser Produktidee entstand 1885 die Norton Emery Wheel Comp.

Maschinenfabrik Alfred Schütte. Ansicht zur Alfred-Schütte-Allee
Als 1893 der aus dem Bergischen Land stammende Alfred Heinrich Schütte die Weltausstellung in Chicago besuchte, lernte er das Unternehmen kennen, war von dem Erfolg der dort hergestellten keramischen Schleifscheiben überzeugt und übernahm die Vertretung der Norton Comp. in Deutschland. Schütte war Mitinhaber der 1880 in Berlin gegründeten Firma Schuchardt & Schütte. Diese mit englischen Stahlerzeugnissen und Werkzeugmaschinen handelnde Firma erlebte nach Aufnahme des Verkaufs amerikanischer Maschinen seit 1893 einen kräftigen Aufschwung. Schütte eröffnete 1898 eine Filiale in Köln und verlegte den Stab technischer und kaufmännischer Mitarbeiter nach Köln. 1903 übernahm Schütte die Generalvertretung der Firma Norton Comp. für ganz Europa - außer Großbritannien und Frankreich, begann 1905 in einer gemieteten Fabrik in Ehrenfeld mit der Eigenproduktion von Schleifmaschinen und Schneidwerkzeugen und errichtete 1910 eine Maschinenfabrik nach amerikanischem Vorbild in Köln-Poll. Das erhaltene Verwaltungsgebäude an der Rheinfront ist ein beeindruckendes Zeugnis der vom Heimatschutzgedanken getragenen Reformarchitektur der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Die Maschinenbaufabrik Alfred H. Schütte profilierte sich schon in den Jahren nach der Gründung mit der Anfertigung von Spezialmaschinen.

Deutsche Norton Gesellschaft. Schleifmittelfabrik Hürth. Ansicht Gleisseite. Foto 1959
Wegen Einfuhr- und Preisschwierigkeiten für die im amerikanischen Stammwerk von Norton hergestellten Produkte wurde 1907 die Gründung der Deutsche Norton-Gesellschaft beschlossen. 1909 wurde das Unternehmen in das Handelsregister Bonn eingetragen und die Errichtung der ersten Fabrikbauten in Wesseling begonnen. Schon 1910 konnte die Produktion mit 15 Stammarbeitern aus dem amerikanischen Stammwerk und 85 deutschen Arbeiten beginnen. Synthetisches Aluminiumoxid (Alundum) und Siliziumkarbid wurden in dem Werk zu außerordentlich harten Schleifscheiben verarbeitet. Bis 1912 hatte sich die Zahl der Beschäftigten auf 150 erhöht. Werksleiter wurde in diesem Jahr der aus Worcester kommende Carl H. Griffin. Während des Ersten Weltkrieges wurde die Fabrik in den Ursprungsformen nach Süden erweitert und als separater Baukörper das heute nicht mehr vorhandene Mühlengebäude errichtet.

Ansicht Straßenseite. Foto 1959
1926/27 verkaufte Alfred H. Schütte seine Anteile an der Deutschen Norton-Gesellschaft an das amerikanische Stammhaus in Worcester. Der mit Berufserfahrungen aus den USA ausgestattete Ingenieur Otto Schütte, Neffe von Alfred H. Schütte übernahm als Verkaufsdirektor die gesamte Verkaufsabteilung des deutschen Zweigwerks. In seiner Zeit gab es grundlegende Umstellungen im Betrieb: anstelle der Transmissionsantriebe wurden Einzelantriebe eingeführt, das Gießverfahren wurde auf ein Pressverfahren umgestellt und für den Brand der keramischen Scheiben wurde 1937 der erste Tunnelofen errichtet. Weiterhin wurden jetzt auch kunstharzgebundene Schruppscheiben produziert. Das Werk hatte in dieser Zeit 400 Beschäftigte. Otto Schütte wurde Ende 1937 alleiniger Geschäftsführer und Generaldirektor. Der langjährige Werksleiter Carl H. Griffin ging nach Amerika zurück. Nördlich vor dem Ursprungswerk entstand in einer seit 1909 unveränderten Architektursprache in diesem Jahr ein neuer Kopfbau.

Während des Zweiten Weltkrieges entwickelte sich eine rege Bautätigkeit. 1942 entstand ein zweiter Tunnelofen mit Ofen-, Pressen- und Kesselhaus und in Abrundung der nördlichen Werksansicht ein Pförtnerhaus sowie Wasch- und Umkleideräume. Die Zahl der Beschäftigten erhöhte sich noch einmal auf 450.

Die Zeit nach dem Krieg war geprägt durch die Entwicklung neuer keramischer Bindungen für die Schleifscheiben, die Verbesserung der Kunstharzbindungen für die Schruppscheiben und den Bau eines neuen Tunnelofens für die jetzt aufgenommene Fabrikation von Feuerfest-Erzeugnissen. Es entstanden neue große Hallen. Bis 1959 war die Beschäftigtenzahl auf rund 600 Personen angewachsen. Mit der Verlagerung der Produktion nach Paris und Mailand wurde 1984 das Ende des Standortes Wesseling eingeläutet.

Weltweit unterhielt die Norton Company 23 große Werke. Die deutsche Gründung von 1909 war die erste Werksgründung außerhalb der USA.


Die erhaltenen Gebäude

Gleisseite mit Zweiturmfront. Foto 2007
Direkt an der Trasse der Köln-Bonner Eisenbahn gelegen hatten Gründungs- und Erweiterungsbauten architekturprägende Schauseiten zur Bahnseite nach Osten und an der Hauptzugangsseite im Norden. Prägnant im Werkskomplex war und ist der dreigeschossige, 1909/10 entstandene und 1916 um sechs Achsen erweiterte Backsteinbau zu den Gleisen an der Ostseite. Dem mit Flachdach gedeckten Baukörper sind nach Osten zwei Turmbauten für die Treppenhäuser vorgestellt. Die Backsteinfassaden werden gegliedert durch stützpfeilerartige Wandvorlagen zwischen den Rechteckfenstern der Hauptfassaden. Dieses Formelement wird als Eckpfeiler für die beiden Turmbauten wiederholt. Wand- und Eckpfeiler schließen oben mit hellen Abdecksteinen. Diese vermutlich aus Kunststein gefertigten Elemente korrespondieren mit kräftigen Sturz- und Brüstungsstreifen für die Fenster im Erd- und Obergeschoss, Decksteinen für die stilisierte Zinnen der Attikazone sowie den Fenstersohlbänken und Ecksteinen der leicht segmentförmig gebogenen Fenster im 2. Obergeschoss. Bemerkenswert sind vor allem die Fensterelemente für die beiden unteren Geschosse mit Brüstungselementen aus Stahlblech, mit denen die Geschossteilung nach Art der erst in den 1920er Jahren häufiger auftretenden Vorhangfassaden überspielt wird. Die Fenster selbst sind in allen Geschossen mit Metallsprossen ausgebildet. Im oberen Bereich der Türme ist auf jeweils drei Seiten das Emblem der Firma Norton in die Backsteinfassaden in runder Medaillonform eingelassen.

Detail der Fassade zur Gleisseite. Foto 2007
Gleisseite. Foto 2007
Zum Gründungsbau von 1909/10 gehört westlich an diesen Geschoßbau direkt anschließend eine ausgedehnte Fabrikhalle. Ausweislich historischer Fotos ragten aus dem Dach dieser Halle die kegel- bzw. zylinderförmigen Schlote der Brennöfen hervor.

Wie schon der Erweiterungsbau von 1916 im Süden ist auch der Erweiterungsbau von 1937 im Norden in der Formensprache nahezu exakt dem Gründungsbau nachgebildet. Die nördliche Hauptzugangsseite wird jedoch auch geprägt von den Erweiterungsbauten der 1940er Jahre mit dem Pförtnerhaus und einem eingeschossigen Gebäudekörper westlich der Werkszufahrt, der nach Norden im Grundriss halbkreisförmig gerundet ist.

Zur denkmalwerten Substanz gehören auch die im Süden anschließenden eingeschossigen Hallen von 1937, 1939 und 1942, in denen vermutlich die Tunnelöfen des Werks aufgestellt waren.

Innenkonstruktion. Foto 2007
Die Gebäude bestehen in ihrer inneren Tragstruktur überwiegend aus Betonstützen, Betonunterzügen und –decken.





Straßenseite mit Pförtner und Werkstor. Foto 2007
Bedeutung

Deutschland, wie auch andere Länder auf dem europäischen Kontinent sind in ihrer Technik- und Industriegeschichte im Verlauf der ersten industriellen Revolution stark von England beeinflusst worden. Nach der Mitte des 19. Jahrhunderts, besonders seit den 1870er Jahren wurde immer stärker die USA zum Vorbild der europäischen Entwicklung. Reisen von Unternehmern und Ingenieuren, wie später auch von Architekten und Stadtplanern waren fest etabliert. Das glänzende Vorbild Amerika wirkte auf vielfältige Weise und gab starke Impulse in vielerlei Beziehung. Die zweite industrielle Revolution mit den neuen Branchen Chemie, Autobau, Stromerzeugung und elektrotechnische Industrie wäre in Umfang und Form ohne das Vorbild Amerika nicht denkbar. Diese oftmals in der Literatur beschriebene Beziehung zwischen Alter und Neuer Welt wird besonders gut am Beispiel der Deutschen Norton-Gesellschaft greifbar. August Heinrich Schütte gehörte zu jenen Maschinenfabrikanten mit starker Bindung an das amerikanische Beispiel. Das wird an seinem 1910 gebauten Hauptwerk in Köln-Poll, viel mehr aber noch an dem Norton-Werk in Wesseling deutlich. Ausgestattet mit Flachdächern, geschossübergreifenden Fensterelementen und Betonstrukturen für die Tragkonstruktion ist das Werk in Wesseling ein aussagekräftiges Beispiel für die Architektur auf dem Weg zur Moderne. Noch gibt es allerdings mit den stützpfeilerartigen Wand- und Eckvorlagen und den stilisierten Zinnen auch historisierende Elemente. Der Gesamteindruck der Anlage, geprägt auch durch die beiden dominanten Treppentürme ist noch der Wehr- und Burgenarchitektur des 19. Jahrhunderts verbunden. Gerade diese Mischung aus wegweisenden und traditionellen Elementen weist der Fabrikarchitektur der Norton-Werke aber eine zeittypische Aussagekraft zu, die wir ebenso etwa in der Turbinenfabrik und den anderen epochalen Bauten von Peter Behrens für die AEG in Berlin finden.

Tunnelofen aus der Frechener Steinröhrenproduktion. Schnitt
Tunnelofen mit Steinröhren. Systemskizze
In technikhistorischer Hinsicht ist der Einsatz von Tunnelöfen für die Produktion der bei Norton hergestellten technischen Keramik interessant. Tunnel- oder Durchlauföfen wurden zum kontinuierlichen Brand von Tonprodukten besonders von Backsteinen und Dachziegel entwickelt, setzten sich aber in der keramischen Industrie nur langsam durch. Bekannt war das Prinzip mit dem Grundgedanken "bewegliche Ofensohle - feststehendes Feuer" schon 1831 also lange vor dem Ringofen. Nach Patenterteilungen 1854 für A. Rasch im Königreich Hannover und 1874 für Otto Bock in Preußen ließ das Interesse an diesem Ofentyp auch wegen der technischen Probleme mit dem auf den Ofenwagen einwirkenden Feuer nach. Erst nach 1947 setzte sich der dann mit Erdgas oder leichtem Heizöl befeuerte Ofentyp durch. Bei den Nortonwerken haben wir es also bei dem ersten Tunnelofen von 1937 mit einem frühen Beispiel dieser Produktionsweise zu tun, die zumindest in den noch erhaltenen Ofenhäusern dokumentiert ist.


Literatur

Großbongardt, Heinrich: Norton in Deutschland, Willich 1985

Das ist Norton, o. J., o. O. Fundort: Stadtarchiv Wesseling

Steguweit, Heinz: 50 Jahre Deutsche Norton-Gesellschaft mbH 1909-1959, Oldenburg o. J.(1959)

Schrader, Mila: Mauerziegel als historisches Baumaterial. Ein Materialleitfaden und Ratgeber, Suderburg-Hössingen 1997

König, Wolfgang: Massenproduktion und Technikkonsum, in: König, Wolfgang(Hg.): Propyläen Technikgeschichte, 5 Bd., Berlin 1990, Bd. 4 Netzwerke Stahl und Strom, S. 265-545