Ratinger Maschinenfabrik und Eisengießerei
Ratingen, Homberger Str. 6-8




Walter Buschmann
Ratinger Maschinenfabrik und Eisengießerei



Geschichte

Das Unternehmen wurde 1893 unter dem Namen Maschinenfabrik Hentschel & Co gegründet (Germes 1985, S. 108). Ungewöhnlicherweise war schon 1891 das an der Homberger Straße gelegene Fabrikanten- oder Direktorenwohnhaus errichtet worden (alle Baudaten nach Katasterplänen). Erst 1893/94 folgte dann ein langgestrecktes, zweigeschossiges Produktionsgebäude, das rechtwinklig zur Homberger Straße angeordnet wurde und heute teilweise noch erhalten ist (Alte Fabrik). Spätestens seit 1898 firmierte das Unternehmen unter dem Namen Ullrich & Hinrichs, Maschinenfabrik und Apparatebau. Hergestellt wurden Einrichtungen für Branntweinbrennereien, Brauereien, Dampfziegeleien, sowie Dampfmaschinen, Dampfpumpen und Transmissionen (StAR 344). 1900 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft - ein Vorgang, der in der einschlägigen Literatur überwiegend als Gründungsdatum des Unternehmens registriert wurde (Wörner; Tischert, 1954, S. 40; Fünfzig Jahre ...).

In dieser Zeit um die Jahrhundertwende erlebte der Standort an der Homberger Straße die umfangreichsten baulichen Aktivitäten. Die alte Gießerei mit Kessel- und Maschinenhaus entstand 1899, die direkt an der Straße gelegene Kessel- und Kupferschmiede, sowie Verwaltungsgebäude und Putzerei wurden 1901-03 errichtet.

Nach Umbenennung in Düsseldorf-Ratinger Maschinen- und Apparatebau AG 1916 (Wörner) folgte in der ersten Hälfte der 1920er Jahre eine Phase baulicher Erweiterungen. Diese Phase setzte schon 1918/19 mit Neubau einer Kraftzentrale ein (StAR, C 49). Im Zwickel zwischen den Sheddachhallen der Kessel- und Kupferschmiede und der alten Fabrik wurde 1921 die Schlosserei gesetzt. 1924 entstand als Doppelhalle mit Backsteinfassade zur Homberger Straße Schlosserei und Dreherei und wohl bald danach als Erweiterung der alten Gießerei die neue Gießerei.

1927 übernahm Direktor Richard Stencke, Gründer der Bergischen Maschinenfabrik, die technische Leitung und wurde durch schrittweise Übernahme der Aktien zum Alleininhaber. Seit 1927 nannte sich das Unternehmen Ratinger Maschinenfabrik und Eisengießerei. Das Fabrikationsprogramm wurde kräftig ausgedehnt und umfaßte neben den nach wie vor produzierten Anlagen für Destillationsbetriebe auch Einrichtungen für Hütten- und Walzwerke und Spinnmaschinen.

In baulicher Hinsicht wuchs die Fabrikanlage nicht mehr. Die wohl wichtigste Maßnahme betraf die 1921 als Schlosserei erbaute Halle, die unter Teilabbruch der alten Fabrik nach dem Krieg bis an die Werksstraße verlängert wurde. Zum 31.12.1978 wurde die Ratinger Maschinenfabrik und Eisengießerei stillgelegt. Die Gebäude überlebten als Behausung für verschiedene gewerbliche Nutzungen.


Die Gebäude

Alte Fabrik (1), 1893/94
Der langgestreckte, zweigeschossige Backsteinbau mit 11 Fensterachsen zur Werksstraße hat ein Flachdach und schwach-segmentbogige Fenster. Die Fassade wird gegliedert durch knapp vorspringende halbsteinstarke Begleitstreifen über den Fenstern, Fenstersohlbänke, Geschoßgesims und Klötzchenfries unter der Traufe. In den Öffnungen sind nur noch teilweise die Metallsprossenfenster erhalten.

Über die ursprünglichen Funktionen in dem Gebäude gibt es keine Nachrichten. Die südlich angrenzenden Anbauten können zur Unterbringung von Kessel und Dampfmaschine eventuell auch von Kupolöfen gedient haben. Ein Schornstein war den Anbauten unmittelbar vorgelagert. In späterer Zeit wurde das Gebäude als Dreherei (1924) und Arbeiter-Aufenthaltsgebäude (1929) genutzt.

Fabrikanten-/Direktorenwohnhaus (2), 1891
Zweigeschossiger Putzbau mit 5 : 2 Achsen und Satteldach. Dem westlichen Giebel ist ein Treppenhausanbau angegliedert, der aus der Straßenflucht zurückspringt und über eine Eingangsloggia aus Holz zugänglich ist. Die Mitte der fünfachsigen Straßenfassade wird betont durch einen Erker im Obergeschoß. An der Rückfassade ist ein Wintergarten (stark verändert) angefügt.

Das Fassadendekor im Stil der Neorenaissance besteht aus profilierten Umrahmungen der segmentbogigen Fenster mit Gebälkstücken über den Fenstern im Obergeschoß. Zwischen dem Geschoßgesims und dem Sohlbankgesims der Fenster im Erdgeschoß sind die Putzflächen durch tiefe Scheinfugen gegliedert. Nur eines der alten Holzfenster (Ostgiebel) und die Hauseingangstür sind erhalten. Im Inneren ist über den tonnengewölbten Kellern die Ausstattung weitgehend verändert.

Östlich und westlich schließen an das Haus hohe schmiede- und gußeiserne Gitter zur Grundstückseinfriedung an. Zwischen Wohnhaus und Verwaltungsgebäude sind mit Buchsbaumhecken noch die Reste einer Gartengestaltung erkennbar.

Alte Gießerei (3), 1899
Basilikal aufgebauter Backsteinbau. Die ursprünglichen Rundbogenfenster mit begleitenden Backsteinbändern sind weitgehend verändert. Bemerkenswert ist die tragende Innenkonstruktion mit dem überhöht ausgeführten Mittelschiff. Dachsparren und Dachdeckung in jüngerer Zeit erneuert.

Kessel- und Maschinenhaus (4), 1899/1918
Eingeschossige Backsteinbauten mit flachgeneigten Dächern. Markant als Kopfbau ausgebildet ist das Maschinenhaus mit hohen Rundbogenfenstern, Gesims etwa auf Kämpferhöhe der Fenster und Klötzchenfries unter der Traufe.

Verwaltungsgebäude (5), 1901-03
Rechtwinklig zur Homberger Straße angeordneter Backsteinbau mit turmartigem, dreigeschossigem Trakt zur Straße und zweigeschossigem Flügelbau, der in die Grundstückstiefe hineinragt. Breite Segmentbogenfenster über geputzten Sohlbänken und gekehlten Schlußsteinen. Das Backsteinmauerwerk wird weiterhin reich gegliedert durch zurückliegende Putzstreifen unter Traufe und in den Brüstungsfeldern der Fenster, Sohlbank- und Geschoßgesims am Turmbau und profilierte Bänder über Eingangstür und über den Fenstern im Turmbau. Das reichgestaltete Traufgesims stützt sich auf schlankem Stabwerk mit profilierten Konsolen.

Über den seitlich von der Werksstraße aus zugänglichen Eingang wird das zur Straße gelegene Treppenhaus erschlossen. Im Obergeschoß des Turmbaus liegt der Sitzungssaal mit hölzernen Wandvertäfelungen, die in den oberen Füllungen geschnitzte Szenen aus dem ehemaligen Fabrikbetrieb zeigen.

Kessel- und Kupferschmiede (6), 1901-03
Zwei- bis fünfschiffige Sheddachhalle in Backstein mit langgestreckter Trauffassade zur Homberger Straße und fünf ungleichhüftigen Giebeln zur Oststraße. Fassadengliederung durch Wandvorlagen und schlanken, leicht eingetieften Putzstreifen. Treppenförmiges Gesims unter den Ortgängen und Konsolfries unter den Traufen. Der Westgiebel wurde nachträglich verputzt. Die innere Konstruktion besteht überwiegend aus doppel-T-förmigen Gußeisenständern. Die querlaufenden Kranbahnen sind entlang der Stützenreihen mit Hilfskonstruktionen nach Art der Polonceau-Träger unterstützt. Entlang der Wände liegen die Kranbahnen auf Wandvorlagen. In einem Schiff ist noch ein handbedienter Laufkran wohl aus der Bauzeit der Halle überliefert. Dachbinder und Unterbau der geschlossenen Dachflächen sind aus Holz. Die steilen Glasflächen sind nach Norden orientiert.

Die zwischen Kessel- und Kupferschmiede und Alter Fabrik eingefügte Stahlfachwerkhalle (1921/ um 1960) ist als Teil der baulichen Anlage auch Teil des Denkmals.

Putzerei (7), 1901-03
Fünfschiffige Sheddachhalle in Backstein mit zwei der Westfassade vorgelagerten, kubusförmigen Flügelbauten. Umlaufendes Klötzchenfries unter Ortgängen und Traufen. In den Giebeldreiecken befinden sich Rundfenster. In die Nordfassade sind später entstellende Rechteckfenster eingebrochen worden.


Bedeutung

Der Gebäudebestand der Ratinger Maschinenfabrik und Eisengießerei zeigt noch das beeindruckend vollständige Bild einer Fabrikanlage dieser Industriebranche aus der Zeit der Jahrhundertwende.

Kernpunkt einer solchen Anlage war stets die Gießerei. Sehr oft waren Gießereien dreischiffig mit basilikalem Querschnitt ausgebildet (vgl. Gießhalle der Sayner Hütte in Bendorf). Der offene, bzw. mit Holzlamellen versehene Obergaden über den Seitenschiffen diente zum Abzug der aus dem Gießvorgang resultierenden Dämpfe. Die Gießhalle in Ratingen ist daher ein charakteristisches Zeugnis für eine geradezu archetypisch in der Industriegeschichte verwendete Gebäudeart.

Ebenfalls von bau- und industriegeschichtlichem Interesse sind die Sheddachhallen der Putzerei und der Kessel- und Kupferschmiede. Nach englischem Vorbild wurden Sheddachhallen seit etwa 1850 auch in Deutschland besonders in der Textilindustrie gebaut. Mit der Belichtung über großzügig verglaste Dachflächen konnten auch große Grundstücke überbaut werden mit Hallen, die, nur durch schlanke Stützelemente unterteilt, eine gute Übersichtlichkeit des Betriebes ermöglichten. Die Belichtung vom Dach her wurde durch den Kunstgriff des ungleichhüftigen Daches ermöglicht, wobei der steilere Teil des Daches mit dem Glas versehen wurde. Die Orientierung dieser Glasflächen nach Norden war typisch, um unerwünschte Beeinträchtigungen durch die Sonne (Blendung, Hitze) zu vermeiden. Ausgehend von der Textilindustrie wurde auch die Sheddachhalle zu einem archetypischen Ausdruck für die Industriearchitektur in der 2. Hälfte des 19. und 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die Einheit von Wohnen und Arbeiten war selbst für die Großindustrie noch weit bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich. Der Bau des Fabrikanten- oder Direktorenwohnhauses auf dem Werksgelände sollte die besondere Verbindung, die Identifikation des Eigentümers oder Leiters mit seiner Fabrik bezeugen, zugleich aber auch seine beherrschende, in der Regel auch patriarchalische Position klar machen. Mit den zunehmenden Sozialkonflikten, aber auch mit der Anonymisierung des Kapitals seit Entstehung der Aktiengesellschaften, unterblieb mehr und mehr diese prägnante Darstellung der privaten Existenz des Fabrikherrn in unmittelbarem Zusammenhang mit der Werksanlage. Das Verhältnis von Kapital und Arbeit wurde anonym, und die Herrschaft über die Fabrik ließ sich durch die Arbeiter immer schlechter personifizieren und verorten. Die Ratinger Maschinenfabrik und Eisengießerei zeigt noch das alte Prinzip der engen Bindung von Fabrik und Fabrikherrn und ist damit ein Dokument für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse.



Literatur

Quellen:
• Stadtarchiv Ratingen (StAR), Bauakten 1898-1948;

• Geschäftsberichte: Ullrichs & Hinrichs AG, Ratingen 1906-1915; Düsseldorf-Ratinger Maschinen- und Apparatebau AG 1916-1922; Ratinger Maschinenfabrik und Eisengießerei AG 1931-1935.

• Kreisverwaltung Mettmann, histor. Katasterkarten Literatur: • Antrieb und Spannung. 250 Jahre Industriegeschichte in Ratingen, LVR-Industriemuseum Ratingen (Hg.), Ratingen 2010

• 1900-1950. Fünfzig Jahre Arbeit, Fleiß und Erfolg! Ratinger Maschinenfabrik und Eisengießerei, Ratingen 1950

• Jacob Germes, Ratingen im Wandel der Zeiten, Meerbusch 6. Aufl. 1985

• Ratinger Maschinenfabrik und Eisengießerei AG. Ratingen bei Düsseldorf, in: Hans Tischert, Stätten deutscher Arbeit, Bd. 9, 1954, S. 40-47

• Friedrich Weck, Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung Ratingens seit dem Mittelalter, masch. Manuskript (StAR, C 64)

• Detlef Wörner, Die wirtschaftliche Entwicklung Ratingens und ihr Einfluß auf seine Sozialstruktur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (= Beiträge zur Geschichte Ratingens, Bd. 8), Bonn o.J.