Sidol-Werke
Köln, Eupener Str. 57-59

Martin Turck
Die Sidol-Werke in Köln-Braunsfeld

Die Chemische Fabrik Siegel & Co. erlangte in den 1920er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, während der kurzen Blütezeit der kapitalistischen Gesellschaft vor der Wirtschaftskrise, eine exponierte Position auf dem Markt für Reinigungs- und Pflegeprodukte und baute diese über Jahrzehnte kontinuierlich aus. Die enorme Leistungskraft des Unternehmens folgte weitsichtigen Entscheidungen und Innovationen, die zur rechten Zeit die Technisierung und Automatisierung des Betriebs voranbrachten. Zwangsläufig erforderte die Modernisierung eine grundlegende Neustrukturierung der gesamten Fabrikation und die komplette Erneuerung nicht nur der technischen Anlagen sondern auch der Fabrikgebäude. In den 1926-28 errichteten Neubauten wurde eine den modernsten technischen Anforderungen genügende Produktionsanlage in Gebäuden installiert, die durch bauliche und gestalterische Qualität der Architektur herausragen. Die nach dem Prinzip eines konsequenten Funktionalismus in Eisen, Beton und Glas errichteten Bauten sind Ausdruck der technischen Leistungskraft, des Modernisierungsschubs und der ästhetischen Leitbilder der 1920er Jahre.


Lage und Firmengeschichte

Im Westen der Stadt Köln, im Zentrum des von großen Wirtschaftsbetrieben geprägten Bezirks Braunsfeld liegen die Fabrikbauten der ehemaligen Sidol-Werke Siegel & Co. Die industrielle Entwicklung dieses stadtauswärtigen Geländes vollzog sich seit der unmittelbaren Vorkriegszeit von 1905 bis 1914 mit dem Ausgreifen der gewerblich geprägten Ortsbereiche Ehrenfeld und Bickendorf nach Süden und Südwesten. An der konsequenten industriellen Strukturierung der städtischen Peripherie in Braunsfeld hatten die Sidol-Werke, die 1911 auf einem ausgedehnten Areal an der Eupener Strasse ein erstes Fabrikgebäude errichteten, prägenden Einfluss. Während der zügigen Entwicklung des Standorts zum Industriegebiet expandierte die chemische Fabrik in der Zwischen- und Nachkriegszeit und bis in die 1960er Jahre zu einem Konzern mit mehr als 4.000 Mitarbeitern, weltweiten Absatzmärkten und marktbeherrschender Position für Reinigungserzeugnisse. Das Ausgreifen in die Dimension der Massenherstellung steigerte den für die Fabrikation notwendigen Flächenbedarf auf mehr als 100.000 qm Werksgelände und führte zum Bau dutzender Produktionsgebäude für die großindustrielle Fabrikation.


1903 hatten die Kaufleute Oskar Siegel und Eugen Wolff die Chemische Fabrik in bescheidenen Betriebsräumen in der Kölner Neustadt begründet. 1910 wurde die Produktion nach Nippes verlagert und bereits ein Jahr später richteten die Fabrikanten ihr Unternehmen am westlichen Stadtrand in Köln-Braunsfeld ein. Auf einem großen Freigelände an der Eupener Strasse, mit Gleisanschluss an die Güterbahnlinie, ließen sie ein in Backstein ausgeführtes Fabrikationsgebäude mit Bürohaus errichten. Damit gehörten Siegel und Wolff zu den ersten Fabrikanten, die ihren Produktionsbetrieb in Braunsfeld ansiedelten. Die mehrfache Verlagerung der Produktionsstätte, einhergehend mit steigendem Bedarf an Betriebsfläche innerhalb weniger Jahre, lässt eine erfolgreiche Entwicklung der Unternehmung vermuten. Die Erzeugnisse der chemischen Fabrik erlangten seit der Gründung des Unternehmens eine weit über Köln hinausreichende Verbreitung. Besonders das Metallputzmittel "Sidol", dem in den folgenden Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg ein umfangreiches Sortiment an Reinigungs- und Pflegeprodukten folgte, erlangte Bekanntheit und gab dem Produktionsbetrieb seinen späteren Namen. Der Entwicklung weiterer Erzeugnisse folgte eine erfolgreiche Markteinführung neuer Produkte.


Nach wenigen Jahren stieß die Produktion an die Grenzen der herkömmlichen, weitgehend von Hand ausgeführten Fertigung. Das Ausgreifen in die Dimension industrieller Massenfertigung erforderte Rationalisierung und Automatisierung des technischen Verlaufs der Produktionsweisen und Fertigungswege durch Fließbandarbeit. Diese Entwicklung führte folgerichtig zu der Entscheidung, statt Erweiterung und Ausbau der bestehenden Fabrikationseinrichtungen einen Neubau der Fabrikanlagen zu errichten. Das Gelände an der Eupener Strasse bot ausreichenden Raum für eine Werksanlage mit Betriebshof, deren Bauten nach den Vorgaben des Produktionsablaufs großzügig gruppiert werden konnten.



Die Bauaufgabe

Das Bauziel der Erstellung eines Neubaus mit ausreichender Nutzfläche für die industrielle Produktion wird anhand der aktuellen und der für die Zukunft angenommenen und erstrebten Produktionszahlen zu ermitteln gewesen sein. Separate Bauten für die technischen Anlagen wie Maschinenhaus, Braun-kohlenbunker und -öfen, Heizkesselanlage und ein Wasserturm waren ebenso Gegenstand der Planung wie chemische Laboratorien, unterirdische Tankanlagen für Lösungsmittel, ein dampfgeheiztes Rohrleitungssystem von den Mischkesseln zu den Gießmaschinen, sowie kompressorbetriebene Kanäle zur Auskühlung der in Dosen abgefüllten Substanzen. Eine hauseigene Blechwarenfabrikation mit Druckerei wurde dem Neubauvorhaben angefügt. Der Betriebsablauf industrieller Fließarbeit in allen Bereichen der Produktion von der Aufarbeitung und Mischung der Rohstoffe über die Abfüllung und Verpackung der Fertigerzeugnisse bis zu Lagerung und Versand der Produkte legte die Gruppierung der einzelnen Bauten zueinander und die sie verbindenden Verkehrswege fest. Neben den funktionalen spielten ebenso baupolizeiliche Vorgaben eine gewichtige Rolle. Die Gebäude für Braunkohlenfeuerung, der Heizkesselanlage, in der Dampf für die Kraftmaschinen erzeugt wurde, und der Wachsschmelze durften wegen der Explosions- und Brandgefahr nur abgerückt und isoliert von den anderen Betriebsbereichen platziert werden. Der Wasserspeicher musste als Hochreservoir, das den Druckausgleich des benötigten Kühlwassers für die Produktion wachs-, terpentin- und benzinhaltiger Stoffe sicherstellte, auf turmartigem Unterbau ausgebildet werden. Die Gesamtheit der betriebstechnischen Anforderungen an die Produktionsbereiche, die Vorgaben an Zweckmäßigkeit, Übersichtlichkeit und Kontrollierbarkeit erforderten eine Systematisierung der Funktionen in linearer Anordnung. Als formale Konsequenz der Bauaufgabe musste eine alle Bauten vereinheitlichende und ökonomische Konstruktion in Fläche und Raum entwickelt werden.



Architekt und Bauherr

Mit der Aufgabe, die betrieblichen Zielsetzungen in eine überzeugende Architekturform umzusetzen, wurde der Architekt Otto Müller-Jena beauftragt. Müller-Jena, 1875 in Jena geboren, hatte sich 1902 als Architekt in Köln niedergelassen. In den Anfangsjahren seiner Karriere baute er repräsentative Villengebäude, deren Gestaltungssprache dem Repertoire der historischen bürgerlichen Architektur verpflichtet war. Nach erfolgreicher Etablierung als selbständiger Architekt folgten innerhalb nur weniger Jahre Großaufträge für Bauaufgaben in Handel, Produktion und Verwaltung. 1914 gab er die individuelle Tätigkeit vorerst auf und fungierte als Geschäftsführer der ‚Rodenkirchener Baugesellschaft‘. Nach dem Weltkrieg setzte er seine Entwurfs- und Bautätigkeit innerhalb des Spektrums gehobener Wohn- und Siedlungsbauten und repräsentativer Geschäftshäuser erfolgreich fort. Als großes Bauprojekt errichtete er 1920-22 das Lagerhaus der Dampfschifffahrt-Gesellschaft Neptun im Kölner Rheinauhafen. Der dreigeschossige Eisenbetonbau zeigt verputzte Rasterfassaden unter gestaffelten Dächern mit aufgesetzten Dachgeschossrisaliten. Bereits in diesem, durch seine qualitätvolle Gestaltung überzeugenden Bauwerk deutet sich der funktionale Rationalismus im zukünftigen Bauschaffen Müller-Jenas an.


In unmittelbarer Nähe zum Werksgelände der Sidol-Fabrik baute Müller-Jena in den Jahren 1921-24 im Auftrag der 'Wohnungsbaugesellschaft Barbarossa' an der Malmedyer- und Eupener Strasse zahlreiche villenartige Einfamilienhäuser, deren sachlich-funktionale, auf kubische Grundformen reduzierte Baukörper die konsequent neue und moderne Gestaltungssprache im Schaffen des Architekten etablierten. Während der in direkter Nachbarschaft zum Fabrikstandort ausgeführten Bauaufgaben wird möglicherweise der Kontakt zwischen dem Architekten und dem Bauherrn der wenige Jahre später realisierten Neubauten für die Sidol-Werke entstanden sein.


Ob der Industrielle Eugen Wolff über seine Funktion als Auftraggeber hinaus den Entwurfsprozess der Bauten beeinflusste, ist nicht überliefert. Seiner vorbehaltlosen, der Moderne verpflichteten Vorstellungswelt entsprach eine Innovationsbereitschaft, die die zu errichtenden Produktionsgebäude und die betriebliche Modernisierung des Werkes ganz selbstverständlich in Einheit mit einer neuen, zukunftweisenden architektonischen Gestaltung sah.



Das Bauwerk

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Die Gebäude in einem Schaubild von ca. 1928
Unweit des Fabrikgeländes hatte der Architekt Fritz Fuss um 1926/27 am Maarweg die Neubauten für die Gummiwarenfabrik Max Steinberg errichtet. Die kubisch bewegten, orthogonal angeordneten und in die Höhe gestaffelten Betonbauten mit Backsteinverblendung und die Flächen betonende außenbündig den Fassaden eingefügten Eisenfenster sind im Braunsfelder Industriegebiet ein zeitlich paralleles, den Stil des neuen Bauens etablierendes Pendant zur Architektur der Sidol-Werke.


Entgegen der im Rheinland gebräuchlichen, vom Backsteinmassivbau geprägten Formensprache entwarf Müller-Jena ein Bauensemble in Eisenbeton. Die Entscheidung, die gesamte Anlage mit armiertem Beton zu konstruieren, fiel sowohl wegen der großen Feuersicherheit der Materialien als auch aus produktionstechnischen Gründen, da die Eisenbetonkonstruktion die Aufnahme schwerer Lasten und die Überbrückung großer Spannweiten ermöglichte. Aus den Nutzungsanforderungen entwickelte der Architekt ein Stützenraster auf rechteckiger Grundfläche, das den Grundriss systematisierte und zwangsläufig das architektonische Konstruktionsgerüst der aufgehenden Geschosse und eine gleichmäßige Fassadenstruktur festlegte. Die standardisierte Bauweise in gerasterter Eisenbetonkonstruktion leistete eine wesentliche Voraussetzung für die Rationalisierung des Produktionsprozesses. Verzweigte, den Material- und Produktionsfluss organisierende Maschinen und Fließbandanlagen, die ständigen Neuerungen unterworfen waren, erforderten ein Höchstmaß an Flexibilität. Ihre Installation in Großräumen sollte nach Möglichkeit nicht durch innenliegende Wände sondern allenfalls von Stützen und Unterzügen eingeschränkt werden.


Im Westen des Fabrikstandorts schuf Müller-Jena die Betriebsanlagen, in denen mit großer Hitzeentwicklung Energie erzeugt, Wachse geschmolzen und Lösungsmittel gemischt wurden. Im Bauverband zu dem hohen, blockartig geschlossenen Kesselhaus mit Braunkohlenbunker befinden sich die niedrigen Bauten für Kraftmaschinen und Akkumulatoren und das tiefabsetzende Gebäude mit den Produktionsmaschinen der Wachsschmelze. Isoliert, doch im Verband zu diesen, erhebt sich nach Osten der Turm mit bekrönendem Wasserbehälter. Die Erschließung der Turmgeschosse erfolgt über das im Bauverband anknüpfende Treppenhaus des Hauptgebäudes der Fabrik. Das Fabrikationsgebäude erstreckt sich im Osten der Gesamtanlage auf winkelförmiger Grundfläche. Vier nur von Eisenbetonträgern unterteilte, weiträumige Geschossebenen, die von zahlreichen Arbeitskräften an Fließbandanlagen bevölkert waren, zeigen ein Maximum an natürlicher Belichtung durch nach Norden und Osten gerichtete Fensterbänder in allen Geschossen. Das oberste Geschoss erfährt eine zusätzliche Belichtung durch satteldachförmige Glasaufbauten. Dem Fabrikationsgebäude nach Norden hin zugeordnet sind niedrige Bauten für die Warenannahme und -ausgabe, die winkelförmig angeordnet einen Innenhof einschließen, in dessen Souterrain sich die Halle der Gießmaschinen befindet. Diesen Baukörpern vorgelagert erstreckt sich eine überdachte Verladerampe für die Anfuhr der Rohstoffe und den Versand der Erzeugnisse durch Lastkraftwagen und Eisenbahn.


Die Verwaltung des Unternehmens blieb im bereits 1911 errichteten Gebäude im Osten des Firmengeländes an der Eupener Strasse bestehen.



Künstlerische Gestaltung

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Ansicht der Anlage in einem historischen Foto
Die Ästhetisierung des Fabrikbaus, seine funktionalistische und stilistische Einheit sind konsequent aus der rasterförmigen Konstruktion in Eisenbeton entwickelt. Die rhythmische Gruppierung vertikal gestaffelter mit horizontal lagernden Bauten bildet ein Ensemble kubischer Körper, deren glatter Fassadenputz den Gesamtbau vereinheitlicht. Große Fensterformate fügen sich vorzüglich in das Raster des Konstruktionssystems ein und bilden in ihrer horizontalen Lagerung ein Pendant zu der vertikalen Fassadenstruktur der weitgehend geschlossen gehaltenen, technisch geprägten Baukörper des Kesselhauses, des Wasserturms und der risalitartigen Lastenaufzüge. Diese zeigen eine Gestaltung mit geschossübergreifenden schmalen Lichtbändern und Blendnischen, sowie Dachaufsätzen, die mit vorkragender Dachplatte eine waagerechte Bekrönung formen. Das Dach spielt im Erscheinungsbild der Bauten keine Rolle, lediglich eine filigrane Kante bildet den Abschluss der flachgedeckten Baukuben. Glatt verputzte Fassaden mit weißem Anstrich scheinen über der dunkler gefärbten Sockelzone mit scharrierter Oberflächenstruktur zu schweben. Als städtebaulicher Akzent bildet der alle Gebäude überragende, dynamisch emporstrebende Turmbau, dessen Schaft durch Lisenen und kräftige Eckvorlagen und dessen Bekrönung durch das deutlich abgesetzte Wasserreservoir gegliedert sind, das Wahrzeichen der Firma. Bündig in die Fassadenebene eingesetzte Stahlfenster mit dünnen Profilen und kleingliedriger Sprossenteilung betonen die Flächigkeit der Baukörper, während die über Eck gesetzten Fenster des Treppenhauses die Gebäudekante entmaterialisieren und den Fassaden eine filigrane Plastizität verleihen. Alle Stahlfenster sind im oberen Bereich als Schwingflügel ausgebildet und lassen sich nach außen öffnen.


Die Tendenz des Funktionalismus, die konstruktiven Bauteile zugleich als ästhetische Gestaltungselemente zu deuten, zeigt sich im Inneren der Gebäude. Wände und Decken sowie die Tragkonstruktion der Stützen und Unterzüge wurden in Beton sichtbar belassen. Charakteristische konstruktive Details sind die Pilzstützen im Obergeschoss der Fabrikation, die eine mittlere Oberlichtreihe rahmen. In weiteren Innenräumen überträgt die plastische Wirkung technik-betonter Architektur den Spannungszustand des Materials überzeugend auf den Raumeindruck. Die Halle der ehemaligen Gießerei für Wachswaren wird von einer freitragenden Dachkonstruktion aus Betonbindern, die im Ansatz gerundete Formen zeigen, überspannt. Diese tragen drei Glasaufbauten, die den gänzlich geschlossenen Raum von oben belichten. Die Formensprache des Konstruktivismus begegnet auch in den Betriebsräumen der ehemaligen Wachsschmelze im Souterrain, wo gebogene Binder ein filigranes Lichtband mit Ausfachung durch Glasbausteine tragen.


Schon zur Zeit seiner Vollendung lobte die Fachwelt die architektonische Leistung, die in den Fabrikgebäuden zum Ausdruck kommt. In der Besprechung des Stadt-Anzeigers vom 22.8.1927 schreibt der begeisterte Autor, dass es „(...) zum Verlassen alter Stilarchitekturen im Fabrikbau nicht nur des bautechnischen und baukünstlerischen Bekenntnisses für das Eisen und den Beton, sondern auch einer aus der Anschauung fabrikatorischer Betriebsvorgänge gewonnenen Erkenntnis von Bewegungsgesetzen bedurfte: die Einführung der waagerechten und senkrechten Bewegung als Betriebsform. Denn durch sie wird die industrielle Herstellung als ein Fließen, als eine Ordnung in Raum und Zeit zur Anschauung gebracht. Und der empfundene Zusammenhang von Raum und Zeit schafft erst die Voraussetzung jeder Baukunst.“ Analoge zeitgenössische Fabrikarchitekturen auf hohem gestalterischen Niveau sind im Kölner Stadtgebiet nicht erhalten und im Rheinland äußerst selten. Die wenigen überlieferten heimischen Industriebauten der Zeit des Funktionalismus in Eisenbeton sind der rheinischen Tradition entsprechend mit Backstein verblendet, während das an der Architektur des Bauhauses orientierte, in glattem Putz ausgeführte Ensemble der Sidol-Fabrik ein singuläres, architekturgeschichtlich herausragendes Beispiel der Epoche des neuen Bauens darstellt und von überregionaler Bedeutung ist.



Der Wiederaufbau

Luftangriffe in den Monaten Februar bis Oktober des Jahres 1943 fügten den Fabrikbauten Zerstörungen zu. Allerdings waren die Schäden hier weniger gravierend als in benachbarten Produktionsstätten, deren Bauten aus Backstein errichtet worden waren. Die extrem stabilen und feuerbeständigen Eisenbetonrahmen des Bauwerks hatten den Bombardierungen standgehalten, so dass nur vereinzelte Schäden am Mauerwerk und an den Eisenfenstern entstanden. Stark beschädigt wurden dagegen das Gebäude der Wachsschmelze und die von 1911 datierenden Backsteinbauten der Verwaltung an der Eupener Strasse.


Des Firmengründers Sohn Franz Benno Wolff-Limper hatte nach dem Tod des Vaters seit 1937 die Leitung der Sidol-Werke übernommen und leistete nach dem Krieg den Wiederaufbau des Unternehmens. Erste Planungen zum Wiederaufbau durch den Kölner Architekten Valentin Pollack (1900-1994) datieren von 1946. Gleichzeitig fanden bis 1947 Enttrümmerungs- und Instandsetzungsarbeiten statt, sowie konzentrierte Vorbereitungen zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Produktionsanlagen. Bereits im April 1948 konnten die technischen Anlagen in Betrieb und im Sommer des Jahres die Produktion wiederaufgenommen werden.


Valentin Pollack leitete alle Bautätigkeiten des Wiederaufbaus und an den Umbauten, die bis 1950 andauerten und plante und entwarf die bis 1951 fertiggestellten Neubauten der Firma. Die Wiederherstellung unter Beibehaltung der vorhandenen Substanz konzentrierte sich auf einfache Mauerarbeiten und die Reparatur der durch Hitze und Druckwellen beschädigten Eisenfenster. Im Einzelnen wurden folgende wesentliche Änderungen vorgenommen: das Fabrikgebäude erhielt weitgehend neue Fenster mit einer der alten Sprossenteilung angepassten Gliederung der Metallrahmen; 1950 wurden an der bis dahin gänzlich geschlossenen Südfront des Gebäudes in den Obergeschossen schmale Horizontalöffnungen gebrochen und gleichgestaltete Fensterbänder aus Eisen eingesetzt; die 1943 ausgebrannte Wachsschmelze erhielt anstelle der zerstörten Oberlichtkonstruktion mit gebogenen Bindern eine flache Betondecke. Zwei Neubauten im Bereich der Produktion wurden 1950/51 eingefügt: das dem Fabrikationsgebäude nach Nordosten vorgelagerte Versandgebäude wurde eingeschossig auf Teilen der Fundamente des zweigeschossigen Vorgängerbaus errichtet, und nach Westen im Verband zu Kesselhaus und Wachsschmelze entstand der Neubau eines Transformatorenhauses mit Werkshalle. Bereits im Februar 1951 fand die Gesamtabnahme der Wiederherstellungs- und Bauarbeiten an den Produktionsgebäuden statt.


Die von 1911 datierenden Bauten der Firmenverwaltung hingegen waren 1943 stark zerstört worden. Ruinös erhalten war das aufgehende Mauerwerk nur noch bis in Teile der ersten Obergeschosse. Zeitlich parallel zu den Aufbauten an den Fabrikgebäuden in den Jahren 1947-51 entwickelte Valentin Pollack die Wiederherstellung der Bürobauten auf Grundlage der vorhandenen Bausubstanz. Darüber hinaus unterschieden sich diese Bauentwürfe allerdings grundlegend von den Vorkriegsbauten und entsprachen konsequent einer zeitgenössischen Architektursprache. Das nördliche Bürohaus wurde ab 1948 geschossweise in drei aufeinanderfolgenden Abschnitten zu einem dreistöckigen Bau mit Staffelgeschoss ausgebaut, das südliche wurde ab 1949 in zwei Bauabschnitten dreigeschossig wiederhergestellt. Charakteristisch für die frühen Jahre des Wiederaufbaus ist die in Phasen durchgeführte Bautätigkeit an den beiden Bürohäusern, bedingt durch Mangel verfügbarer Kapazitäten an Baumaterial und an qualifizierten Bauhandwerkern. Im Zuge der Bauarbeiten errichtete Pollack im Bauverband zu den Bürohäusern je einen eingeschossigen Pavillonneubau an der Eupener Strasse. Die beiden das Werkstor flankierenden Rundbauten dienten der Infrastruktur des Produktionsbetriebs: Der nördliche, 1948 errichtete Pavillon wurde als repräsentativer Eingang zum Bürohaus mit Sitz der Firmenleitung ausgestattet, der südliche, 1949 fertiggestellte Bau fungierte fortan als Ein- und Ausgang der Fabrikbelegschaft.


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Schrägansicht der Werke um 1970
Formal und gestalterisch knüpfte die fortschrittliche Architektur des Wiederaufbaus an den Funktionalismus an und entwickelte sich zu einer überzeugenden und eigenständigen Leistung in Kontinuität zu den architektonischen Konzepten der Zwischenkriegszeit. Aus der Baukultur jener wegweisenden Werke von hoher schöpferischer Qualität entwickelte sich in den 1950er Jahren das Repertoire für eine konsequente zeitgenössische Architektursprache. Während Valentin Pollack die Fabrikbauten im Wiederaufbau weitgehend dem Vorkriegszustand entsprechend ausgeführt hatte, entwarf er die Bürobauten dem Zeitstil entsprechend als klare und sachliche Baukörper mit flachen Dächern. Konstruktion und Funktion bestimmen die originäre Architektur, die als bewusste stilistische Vereinheitlichung des Gesamtkomplexes aller Bauten zu verstehen ist. Das nach Norden gelegene Bürohaus zeigt mit aufgesetztem Staffelgeschoss und von Stahlstützen getragenem Flachdach eine charakteristische Prägung der Zeit, während der südliche, rein funktionalistische Baukörper sich mit hochgezogener Brüstung in der Höhe der Kubatur des Nachbargebäudes anpasst. Quergelagerte Stahlfenster mit Sprossenteilung vereinheitlichen beide Bauten. Der für die frühe Zeit des Wiederaufbaus charakteristische Bautyp des Rundpavillons ist eine Leichtkonstruktion mit weit vorkragendem Flachdach und umlaufender Fensterreihung. Nach Abschluss des Wiederaufbaus 1951 wurden alle Gebäude neu verputzt und erhielten einen weißen Anstrich.



Die heutige Situation

In der Folgezeit blieben die Sidol-Werke nicht von Veränderungen verschont. Das traditionsreiche Unternehmen fusionierte 1969 mit den Düsseldorfer Thompson-Werken zur Thompson-Siegel GmbH. Der kurze Zeit später vollzogenen Übernahme dieses Werks durch die Düsseldorfer Henkel & Cie. GmbH im Jahr 1971 folgte in den 1980er Jahren die Verlagerung der Fabrikation dorthin und die Einstellung der Produktion am Kölner Standort. Seitdem erfahren die historischen und bis in die 1960er Jahre errichteten Fabrik- und Lagerbauten an der Eupener Strasse eine vielfältige Nutzung. Ohne großen Planungs- und Veränderungsaufwand wurden in der stillgelegten Anlage Ateliers für bildende Künstler und Kleingewerbebetriebe eingerichtet. Eingriffe in die Substanz beschränkten sich auf Sicherungs- und Erhaltungsmaßnahmen.


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Eines der Ateliers nach den Umbauten
Die Denkmalpflege hat durch die Unterschutzstellung den Bestand der historischen Fabrikgebäude von 1926/28 sowie weiterer Gebäude der unmittelbaren Nachkriegszeit gesichert. Die städtische Rahmenplanung für das vom Wandel geprägte Gewerbegebiet sah auf dem Sidol-Gelände neben Teilflächen für Wohnnutzung die Ansiedlung zukunftsorientierter Gewerbe- und Dienstleistungsunternehmen unter ausdrücklicher Beachtung denkmalgeschützter und erhaltenswerter Altbausubstanz vor. In der Folge wurde 2009 der Bebauungsplan für das Gelände erstellt. Mittlerweile (2016) sind ca. 400 Wohneinheiten in viergeschossigen Häusern mit Miet- und Eigentums¬woh¬nungen sowie in villenartigen Gebäuden realisiert worden.


(Erstveröffentlichung des Textes: Martin Turck: Die ehem. Sidol-Werke in Köln-Braunsfeld. Von der chemischen Fabrik zum Kunst- und Kulturzentrum? (= Rheinische Kunststätten Heft 482, Hg. Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz), Köln 2004)



Literatur

• Der Fabrikbau. In: Stadt-Anzeiger, Nr. 421, 22.8.1927
• Lampmann, Gustav, Köln. Bauliche Entwicklung 1888-1927, Berlin 1927, S. 173-177
• Fritz Fuss. Neue Werkkunst, Berlin 1927
• Neubau der chemischen Fabrik Siegel & Co. in Köln-Braunsfeld. In: Die Bauschau, Jg. 3, 1928, Heft 1, S. 12-16; Westdeutscher Beobachter, Nr. 287, 11.11.1933
• Chronik der Sidol-Werke Siegel & Co. 1903-1969, Köln-Braunsfeld, o.O. o.J. [1971]
• Meynen, Henriette u.a., Kölner Wirtschaftsarchitektur. Von der Gründerzeit bis zum Wiederaufbau, Köln 1996, S. 42, 69, 246
• Turck, Martin, Die Sidol-Werke Siegel & Co. In: Denkmalpflege im Rheinland. Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Amt für Denkmalpflege (Hg.), Jg. 15, 1998, Nr. 1, S. 35-41
• Fendel, Ute, Kulturpfade Köln, Köln 2000, S. 25f.
• Föhl, Axel, Bauten der Industrie und Technik in Nordrhein-Westfalen, Berlin 2000, S. 168.