Mülheimer Freiheit
Mülheimer Freiheit

Bauzeit: 1864
Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, als Mülheim im Frühjahr 1945 wochenlang an der Frontlinie lag, sind von den barocken Bürgerhäusern der einstigen „Freiheit“ nur noch wenige Zeugnisse erhalten. Nur um die Schifferkirche St. Clemens unterhalb der heutigen Rheinbrücke sowie am nördlichen Ende der „Freiheit“ rings um den Mülhelmia-Brunnen sind noch einige Häuser des 18. und frühen 19. Jahrhunderts erhalten bzw. wurden zumindest im Äußeren wieder aufgebaut.

Als Anfang des 18. Jahrhunderts einige protestantische Kaufmannsfamilien aus Köln in die bergische Hafenstadt Mülheim übersiedelten, wichen sie dem reichsstädtischen Druck, der die Ausübung anderer als der katholischen Religion innerhalb seiner Mauern untersagte und protestantische Kaufleute nur aus ökonomischen Gründen duldete. Das Herzogtum Berg auf dem rechten Rheinufer bemühte sich dagegen nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges um den Wiederaufbau und die Vermehrung der Bevölkerung und hieß die wirtschaftlich und verwandtschaftlich eng vernetzen, regen Händlerfamilien willkommen. Innerhalb weniger Generationen wurde Mülheim so zu einer der prosperierenden rheinischen Textilstädte mit einer neuen Oberschicht wohlhabender und zugleich wohltätiger Bürger.

Führend in Mülheim war die Familie Andreae, die es durch das Verlagswesen, also die dezentrale Produktion insbesondere von Samtstoffen bei zentralem Ein- und Verkauf durch einen „Verleger“, zu stattlichem Wohlstand brachten. Im späten 18. und das 19. Jahrhundert hindurch investierten sie und gleichgesinnte, meist verwandte Familien auch in neue Unternehmungen im Bergischen Land oder an den Rändern der Eifel, wo sie zugleich Landsitze einrichteten. Hier, etwa in Schlebusch, Dellbrück oder Sinzig, finden sich heute mehr Zeugnisse dieser Familie als in Mülheim selbst.

Auch die katastrophale Zerstörung der Stadt im Jahre 1784 durch ein Eishochwasser konnte die wirtschaftliche Blüte nicht beenden. Vielmehr ließ sie in der Folge ein besonders einheitliches Stadtbild entstehen, das in mehreren Schritten – erst durch Neubauten der Gründerzeit, dann durch die massiven Abbrüche beim Bau der Mülheimer Brücke (1927-29) und schließlich im Zweiten Weltkrieg weitgehend zugrunde ging.
Obwohl mit der fortschreitenden Mechanisierung der Textilindustrie auch eigene Fabriken angelegt wurden, und in Mülheim eine angesehene Webschule eingerichtet wurde, konnten die Mülheimer Textilindustriellen nach 1870 insbesondere der niederrheinischen Konkurrenz nicht mehr standhalten. In Mülheim gewannen von Köln ausgehend andere Industriezweige wie Maschinenbau, Farb- und Kabelindustrie die zentrale Rolle, die letztlich zur Eingemeindung der Stadt und weiter Teile des Umlandes nach Köln im Jahre 1914 führten.

Das eindrucksvollste Ensemble spätbarocker, wenn auch teils stark erneuerter Kaufmannshäuser findet sich am Nordende der „Freiheit“. Unterhalb der „Krahnenburg“ an der Krahnenstraße, dem ehemaligen Standort des Rheinkrans, befinden sich noch alte Lagerkeller. Auf der Fortsetzung des Hochufers entstanden seit etwa 1870 die von der Düsseldorfer Straße aus erschlossenen Villen der Mülheimer Unternehmer, von denen ebenfalls nur wenige den Zweiten Weltkrieg überstanden.
Das wichtigste Zeugnis der Köln-Mülheimer Seidenindustrie liegt etwas abseits der Mülheimer Freiheit in der Wallstraße 56.
Das Haus wurde um 1776 erbaut. Architekt ist vermutlich Johann Georg Leydel. Das Haus wurde errichtet für Carl Friedrich Bräunlich, den Betriebsleiter der von Christoph Andrea seit 1773 neu errichteten Samt- und Seidenfabrik.

Christoph Andreae war eine der großen Unternehmerpersöhnlichkeiten im Rheinland vor der Industriellen Revolution. Er beschäftigte ca. 1500 Weber hauptsächlich in der Heimarbeit. Zusätzlich gab es die Samt- und Seidenfabrik mit 44 Samtwebstühlen, Wallstraße 88-90 und die Färberei, Wallstraße 30–34. Beide Anlagen sind im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Die Bedeutung der Familie Andrea ist in Westdeutschland vergleichbar mit den Scheiblers in Monschau und Krefeld, den von der Leyens in Krefeld, den Clermonts in Aachen und Vaals. Von den Produktionsanlagen sind in Mülheim keine Reste erhalten geblieben. Das für den Betriebsleiter der Andreae’schen Fabriken Carl Freidrich Bräunlich errichtete Wohnhaus Wallstraße 56 ist insofern das einzige vollständig erhaltene Baudenkmal, das in Mülheim die Erinnerung an die Tätigkeit dieser Kaufmanns- und Unternehmerfamilie lebendig halten kann.

Architekt der Familie Andreae wurde der seit 1765 in Mülheim Fuß fassende Johann Georg Leydel. Leydel errichtete bis zu seinem Tod 1785 neben den Bauten für Andreae auch fast alle architektonisch bemerkenswerten Bürgerhäuser in Mülheim, führte seit 1766 den Titel eines Stadtbaumeisters und plante Anlage und Bebauung der Wallstraße. Leydel gehörte zu den wichtigen Barockbaumeistern des Rheinlandes.
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