Baumwollspinnerei Ermen & Engels
Engelskirchen, Engelsplatz 4
Thomas Schleper
Ermen & Engels in Engelskirchen


Baumwollspinnerei Ermen & Engels Foto: 1868
Für die Industriekultur stechen im oberbergischen Engelskirchen drei Zeitabschnitte mit ihren Schwerpunkthemen heraus, die alle den industriellen Strukturwandel betreffen und zugleich das Potenzial haben, an Ort und Stelle vermittelbar zu sein, um sie mit gegenwärtigen Problemlagen zu verknüpfen: Die Ansiedlung einer Textilfabrik im ländlichen Raum (Industrialisierung); sodann die Anwendung verschiedener Energietechniken von der Wasser- und Dampfkraft zur verbundwirtschaftlichen Elektrifizierung (energetische Transformation); schließlich die Umnutzung einer ehemaligen Fabrikanlage zum Ensemble für zentrale gemeindliche Funktionen, das zugleich eine institutionalisierte Bildungsarbeit ermöglicht.

Erhaltungsplanung um 1985
Mit dem Thema Industrialisierung sind aufgrund des Umstandes, dass ein gewisser Friedrich Engels aus Barmen in Verbindung mit einem Zweigunternehmen in Manchester eine moderne Spinnerei in Engelskirchen errichten lässt, Stichworte wie Innovationstransfer und soziale Veränderung der Arbeitswelt gleich im Weltmaßstab aufgerufen. Die am noch vorhandenen Bestand nachvollziehbare Transformation der energetischen Versorgung ist anschlussfähig für Fragen heutigen Umgangs mit Energieressourcen. Dass u.a. Rathaus, Feuerwehr und ein Industriemuseum in die alten Fabrik-Gemäuer einziehen, gibt exemplarische Antworten zum Umgang mit den Hinterlassenschaften einer sich beständig selbst überholenden Moderne.


Industrialisierung eines ländlichen Raumes

Friedrich Engels jun., Foto um 1858
Der Pietist Friedrich Engels sen. wurde 1837 Teilhaber der Textilfabrik Ermen & Engels in Engelskirchen und der Baumwollspinnerei Ermen & Engels im Westen von Manchester (Illner / Ising-Alms 2016). Dort war sein Sohn, der bald weltberühmte Sozialist Friedrich Engels jun. von 1849 bis 1864 als Manager tätig. Über zwei Generationen, bis zum Ausscheiden von Friedrich Engels sen. aus der Firma Ermen & Engels im Jahre 1869, bestanden enge Kontakte zwischen den Unternehmen in Barmen und Manchester. Aus heutiger Sicht war die Firma Engels ein deutsch-englisches Joint-Venture mit einem Transfer der im Mutterland der Industrialisierung vorgefundenen Strukturen, die in Engelskirchen an der Agger architektonisch, produktionstechnisch und arbeitsorganisatorisch ihre konkrete Anwendung fanden.

„Mit Gottes Segen‘“ verfolgte Engels sen. sein Ziel, britische Technologie samt weltweiten Handelsoptionen für einen eigenen Standort im Bergischen Land nutzbar zu machen. Er plante zunächst eine moderne Fabrik nach englischem Vorbild am Barmer Standort an der Wupper. Doch das für den Antrieb ausreichend starke und kontinuierliche Gefälle war hier nicht vorhanden.

Lageplan 1914
Erst im südlichen Teil des Bergischen Landes fand Engels an der Agger in Engelskirchen einen optimalen Standort, der dazu auch noch genügende Platz für spätere Erweiterungen bot. Dort sollte – wie er selbstbewusst 1840 in seiner Eingabe an das Preußische Finanzministerium in Berlin schrieb – „eine der interessantesten Fabrikanlagen des Preußischen Staates“ noch dazu „zum Segen für die völlig arme Umgegend von Engelskirchen“ errichtet werden. Während „Ermen & Engels“ von Manchester aus den britischen und internationalen Markt mit speziellem hochfestem Nähgarn bediente, sollte eine gleichartige Produktionsstätte in Preußen die deutschen Zollvereinsstaaten und ihre 30 Millionen Einwohner versorgen. Die wachsende Nachfrage nach Baumwolle versprach gute Absatzchancen und die Baumwollverarbeitung ließ am schnellsten eine maschinenbasierte Produktion zu. Mit der Produktion von speziellem Nähgarn entwickelte Engels ein Handelsprodukt, das vielfältige Abnehmer fand, als in den 1850er Jahren die Nähmaschine serienreif und damit auch in der gewerblichen Produktion verwendbar wurde.

Belper North-Mill. Eine der vorbildhaften Fabriken mit Wasserantrieb im Derwent-Valley südlich von Manchester. Das Gebäude ist erhalten und gehört heute zum Unesco-Welterbe Derwent-Valley.
Für die bauliche Konzeption des Fabrikgebäudes aus Grauwacke und von fast 50 Meter Länge war das Antriebssystem von sprichwörtlich maßgebender Bedeutung. Mittels langer Horizontalwellen, einem drei Geschosse vertikal verbindenden „Königsstock“, Zahnrädern und Riemen erfolgte die Kraftübertragung vom Wasserrad bis zu den Arbeitsmaschinen in den Stockwerken. Die Länge des Bauwerks ergab sich aus der Aufreihung der Spinnmaschinen längs der Hauptwelle, die Breite richtete sich nach dem Auszug des Selfactors. An den Enden des länglichen Hochbaus waren Eingänge, Treppen und Nebenräume untergebracht. Die Arbeitssäle wurden zumeist von nur zwei Stützenreihen unterteilt.

Bereits 1843 lief die Produktion versuchsweise an, während an einem weiteren Gebäudeflügel noch gebaut wurde. Nach englischem Vorbild sollte die Fabrik in Engelskirchen nämlich mit eigener Färberei, Bleicherei und Werkstätten ausgestattet sein. Ein Gasometer sorgte für die Beleuchtung der Fabrik mit Kohlegas. Selbst ein Sprinklersystem wurde installiert: mit weit verzweigten Rohrleitungen und einem Wasserreservoir für die Befeuchtung der in den 1860er Jahren errichteten Spinnerei nach nochmals neuester englischer Art.

Schaubild um 1860. Im Vordergrund die Zwirnerei. Gut erkennbar ist auch der Obergraben mit der Wasserzufuhr für das Wasserrad in der Zwirnerei.
Zug um Zug wuchs die Fabrik, so dass 1847 einhundertneunundfünfzig Arbeiter tätig waren, dreiundachtzig Frauen und sechsundsiebzig Männer. Ihre Zahl stieg 1852 auf vierhundertfünfundachtzig, um drei Jahre später auf fünfhundertsechzehn Beschäftigte anzuwachsen. Die Zahl der Arbeiter unter sechzehn Jahren stieg von zweiundzwanzig (1852) auf sechzig, davon dreißig Mädchen unter vierzehn Jahren (1855). Die Zahl stieg weiter auf vierundneunzig (1856), achtundneunzig (1868) und dann auf einhundertzwanzig (1873).

Ob der Firmengründer bei seinen Unternehmungen auch auf die „Lage der arbeitenden Klasse in England“ reagiert hat, eine Frühschrift, die sein Sohn in Barmen 1844/45 mit sozialer Analyse der Missstände und großer Anklage der „zügellose[n] Profitgier“ der englischen Bourgeoisie geschrieben hat? Die Engels hatte jedenfalls aus gelebter Religion schon früh eine Art Sozialwesen für ihre Belegschaften aufgebaut (Knierim 1992).

Doch das Verhältnis der beiden Engels gleichen Vornamens zueinander - wähnte der Vater den hochbegabten Sohn doch eine Zeitlang als möglichen Nachfolger - blieb zeitlebens äußerst gespannt. Freilich: Weil der alte Engels dem jungen mit den Fabriken in England und im Bergischen nicht nur Einblicke in seine unternehmerischen Usancen gewährte, sondern diesen zudem in die Lage versetzte, auch die Familie von Karl Marx finanziell zu unterstützen, erwies er letztlich dem revolutionären Sozialismus einen so ungewollten wie wertvollen Dienst. Jedenfalls schreiben Engels jun. und sein Freund Marx just zu derselben Zeit, als die Arbeiten in Engelskirchen voranschreiten, nämlich 1847/48, an den „Grundsätzen des Kommunismus“ bzw. am „Manifest der Kommunistischen Partei“.

Andererseits hat sich der Junior nicht pauschal gegen die Industrie gewandt, „sondern nur gegen die Mechanismen, mit denen sie gehandhabt wurde“ (Knierim BGV, S. 112): Hat doch die „Bourgeoisie“[…] ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen“, so das „Manifest“. Und so ist das Dreieck, das die Fabrikstandorte von Ermen & Engels in Barmen, Manchester und Engelskirchen bilden, eine historisch und industriekulturell einmalige Konstellation, die unter Gesichtspunkten einer exemplarisch vergleichenden Wirtschafts- und Sozialgeschichte noch weitere Untersuchungen verdient.


Mit Wasserkraft und Dampfmaschine zur elektrischen Versorgung

Lageplan mit Ober- und Untergraben.
Obwohl die Wasserkraftnutzung zentral war für die bauliche Herrichtung der Fabrikanlage, galt es bald, Vorrichtungen zu treffen, die Verlässlichkeit der Energieversorgung und -übertragung für einen kontinuierlichen Produktionsbetrieb, d. h. auch energetisch unabhängig von zufälligen Witterungsbedingungen, sicherzustellen. Am Beispiel von Ermen & Engels lässt sich der stufenweise Umwandlungsprozess von einer insularen Selbstversorgung mit Wasserkraft bis zur großflächigen Verbundwirtschaft im Rahmen einer lückenlosen Elektrifizierung des Aggertals verfolgen (Wester-Hilpert).

Plan mit den Turbinen als Ersatz für das Wasserrad im Zwirnereigebäude.
Noch unter der Leitung von Anton Ermen war zu Beginn ein eisernes Wasserrad von neunzehn Fuß Höhe und sechzehn bis achtzehn Fuß Breite montiert worden. Eine Hilfsdampfmaschine kam hinzu. Um leistungsstarken sowie regelmäßigen Betrieb zu gewährleisten, wurde das Wasserrad vermutlich Mitte der 1850er Jahre durch Wasserturbinen ersetzt und zu deren Unterstützung auch weitere Dampfkraft eingesetzt. Die im Erdgeschoss längs durch die Zwirnerei laufende Haupttransmissionsachse konnte bei ausreichender Leistung von den Turbinen allein in Bewegung gesetzt werden. Mit Hilfe eines komplizierten Kopplungssystems ließ sich bei Bedarf nun auch die Zweizylinderdampfmaschine auf diese Achse zuschalten.

Luftbild um 1990
Bereits 1903 koppelten Ermen & Engels als eine der ersten Unternehmen im Aggertal ihre nunmehr aus vier Turbinen bestehende Wasserkraftanlage an Generatoren. Der Sammelteich wurde ausgebaut und ermöglichte die nächtliche Speicherung von Wasser, das dann am Tage zum Antrieb der Turbinen benötigt wurde. Doch auch die Modernisierung der Anlage 1907-1910 mit zwei Doppelfrancis-Turbinen, ergänzt durch spezielle, trompetenartige Beton-Schächte unterhalb der Anlage, die den Wassersog erhöhten, konnten den gewachsenen Energiehunger nicht stillen. Auch nicht die Anschaffung eines Dieselmotors. Ermen & Engels, seit 1903 zugleich hydroelektrisches Kraftwerk für ganz Engelskirchen, wurden ab 1924 auch vom kreisweiten Netz versorgt und speisten ihre freie Energie ein. Dieses Netz aber bestand aus einem großen Dampfkraftwerk sowie zahlreichen Wasserkraftwerken und verfügte 1929 auch über eine große Talsperre mit zwei Turbinenkraftwerken.

Ein neues Energiewirtschaftsgesetzt führte 1935 dazu, dass die Verbundwirtschaft der Rheinischen Elektrizitäts-Werke (RWE) auch die Versorgung des Kreises, von ganz Engelskirchen und Ermen & Engels sicherstellte. Die Fabrik baute in der Folge ihre Transmissionsantriebe ab und setzte auf Produktionsmaschinen mit integrierten Elektromotoren. Diese Entwicklung ermöglichte eine bedeutende Produktivitätssteigerung und machte die Arbeitsplätze der Textilarbeiterinnen im doppelten Sinne sicherer. Auf der anderen Seite stieg das Arbeitstempo an den elektrisch angetriebenen Ringspinnmaschinen und die Zahl der zu überwachenden Spindeln. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs konnten Ermen & Engels endgültig auf Dampfkraft und Diesel verzichten. Nur die Dampfkessel bleiben für Heizzwecke bis in die 1960er Jahre bestehen.

Was die hydroelektrische Energiegewinnung und -versorgung betrifft, die Engels jun. seinerzeit für „enorm revolutionär“ befand: Die zu Zeiten des großen Talsperrenbaus von ebenso großen Hoffnungen begleitete Kombination innovativer Elektrotechnik und naturschonender Wasserkraftnutzung reichte allein nicht aus, den vor allem mit den1950er Jahren wachsenden Energiebedarf im Aggertal zu decken. Durch den Groß-Verbund der RWE wurden zur Versorgung letztlich auch die an weit entfernten Orten stattfindende Verfeuerung fossiler Energieträger (vor allem Stein- und Braunkohle) beansprucht. Obwohl die RWE noch 1987 eine kostenaufwendige Modernisierung und Restaurierung der Wasserkraftanlagen an der Agger durchführte, trug die Wasserkraft nur zu einem geringen Teil zur Stromversorgung bei (Mörth / Schleper 1996). 1994 wurde die Elektrizitätsversorgung mit der Gründung der „Stromversorgung Aggertal“ in kommunale Verantwortung zurückgegeben. 2006 erfolgte die Fusion zur kommunalen „Aggerenergie“. Neben Solaranlagen und Windkraft werden neben Verbrauchseinsparung und Effizienzgewinn weitere Konzepte und Maßnahmen zu Energieumwandlung und -verbrauch zum Einsatz kommen müssen, um dazu beizutragen, den weltweiten Klimawandel zu minimieren und so die Folgen abzufedern.


Umnutzung eines Fabrikensembles

Umnutzungsplanung 1985. Umbau der Spinnerei zum Rathaus und der Zwirnerei zu Wohnungen mit Museumsetagen. Nach Teilabbrüchen zeigt diese Zeichnung auch die geplanten neuen Wohnhäuser.
Es ist noch eine Zeitlang Strom ins Netz eingespeist worden, nachdem Ende der 1970er Jahre die Textilfabrik Ermen & Engels stillgelegt war. Der Abriss stand schon bevor, als schließlich ein alternatives Umnutzungskonzept zum Zuge kam. Die wesentlichen Bauten der unter Denkmalschutz gestellten Fabrikanlage konnten durch eine multiple Umwidmung erhalten bleiben: Die Gemeindeverwaltung zog in die ehemalige Spinnerei, die Feuerwehr in die benachbarte Färberei. In der alten Zwirnerei hat nun unter zahlreichen Wohnungen zudem ein Standort des LVR-Industriemuseums Platz gefunden, um als zweite Außenstelle dieses dezentralen Museums das seinerzeit brandneue Thema einer Industrie- und Sozialgeschichte mit der Eröffnung 1987 einem breiten Publikum zugänglich zu machen (Schleper 1987). Das hierfür zum Tragen kommende Konzept setzte an allen „Außenstellen“ des dezentralen Industriemuseums einen authentischen Bestand voraus. Dabei unterscheidet sich der Standort Engelskirchen von den übrigen bis heute einerseits durch seine besondere städtebauliche Lage und andererseits durch seine Mischnutzung im Ensemble.

Doppelvilla für Friedrich Engels sen. und einen seiner Söhne.
Erkennbar ist z.B. auch noch der Eisenbahnanschluss, für den sich der Unternehmensgründer bereits eingesetzt hatte. Vom alten Fabrikhof, dem jetzigen Engels-Platz, ist zudem die benachbarte evangelische Kirche erkennbar, die die Firma aus dem Nachlass des frommen Gründers samt Schulbau und Pfarrhaus 1867 auch für die zugezogenen Arbeitskräfte erbauen ließ, und zwar neogotisch. Am gegenüberliegenden Ende des Fabrikareals verbirgt sich hinter einer hohen Mauer die Villa Engels, in nüchternem Klassizismus bereits 1855 vom Barmer Architekten Christian Heyden errichtet und stilistisch oszillierend zwischen Zweckdienlichkeit und „bourgeoisem“ Repräsentationswillen (Engel u.a. 1996). Heute ist sie Sitz des Bergischen Abfallwirtschaftsverbandes (BAV).

Spinnerei nach dem Umbau zum Rathaus der Gemeinde Engelskirchen.
Architektonisch sticht sicherlich das 1868 in einem ersten Abschnitt fertiggestellte Spinnereigebäude mit seinen Gusseisen-Konstruktionen aus dem Fabrikbauensemble heraus. An den massiven Außenmauern aus heimischer Grauwacke sind die entsprechenden Maueranker zu sehen.
Spinnerei. Konstruktionssystem mit einem Skelett aus Gusseisentützen und Fischbauchträgern aus Gusseisen.
Hier war ein Konstruktionssystem gewählt worden, das einen Vorläufer der modernen Skelettkonstruktion darstellt.
Gusseisenstützen im Foyer des Rathauses.
Beeindruckend für jeden, der das heutige Rathaus mit seinem lichten inneren Treppenhaus betritt, sind die freigelegten Fischbauch-Träger, die nach englischem Vorbild die Vorgängergeneration noch hölzerner Konstruktionsweisen ablösten. Das Engelskirchener Konzept gehört zu den
Ratssaal mit erhaltenen Gusseisenstützen.
frühesten Beispielen dieser Art Eisen-Moderne im Fabrikbau Nordrhein-Westfalens. Im jetzigen Ratssaal erkennt man an der nicht tragenden westlichen Außenwand, wie leicht sie zwecks Erweiterung mit dieser Stütz- und Tragkonzeption in Richtung Agger um mehrere Achsen zu verschieben war (Robeck 1992).

Zwirnerei vor dem Umbau
Über eine das heutige Trauzimmer des Standesamts beherbergende Brücke ist die Spinnerei mit dem östlich
Zwirnerei. Innenkonstruktion vor dem Umbau
anschließenden „Zwirnereigebäude“, dem ältesten Bauwerk auf dem Gelände, verbunden. Der bereits weiter oben erwähnte Stockwerkbau unterlag schon zu Produktionszeiten verschiedenen Umnutzungen. Dabei bot seine vielgeschossige Gestalt den sich wandelnden fertigungs- und energietechnischen Erfordernissen keineswegs immer ideale Bedingungen. Wenn jeder Umweg im Produktionsgang Verlust an Energie, Zeit und Geld bedeutete, so war die für die mechanische Energieversorgung zunächst günstige Vertikale der Geschossstapelung für modernere Fertigungsläufe eher nachteilig. Trotz Einbaus von Fahrstühlen, Angleichens von Gebäudeebenen und Einsatzes von Elektrostaplern gab es im Produktionsprozess ein retardierendes Auf und Ab, Hin und Her.

So verlief hier nach dem Zweiten Weltkrieg der Fertigungsgang wie folgt: Das auf Papphülsen (Kopse) aufgewickelte Garn verließ das Spinnereigebäude über die Verbindungsbrücke im dritten Obergeschoss, um in das zweite Obergeschoss des Zwirnereigebäudes, der jetzigen Museumsetage, zu gelangen. Hier befanden sich auch die Spulerei und die Facherei. In der Spulerei wurde der Faden von den Kopsen auf Garnträger gewickelt. Anschließend wurden in der Facherei zwei oder mehr Fäden zusammengeführt. Eine Etage tiefer übernahmen dann die Zwirnmaschinen das Zusammendrehen der Garne zu einem Faden. Nach dem Zwirnen mussten die Zwirnkopse in die Haspelei ins Erdgeschoss des Nachbargebäudes gelangen. Von der Haspelei erreichte das Baumwollgarn über einen Umweg durch die Zwirnerei die Färberei. Nach dem Färben oder Bleichen verlief der Produktionsweg wieder zurück ins Zwirnereigebäude und hinauf in die Aufmacherei unter dem Dach. Hier wurden die Stränge entwirrt, geglättet, kontrolliert und zu Docken gedreht. Nun mussten die fertigen Produkte für Handel und Versand vorbereitet werden. Dazu bedurfte es wieder eines längeren Weges vom Dachgeschoss in ein Gebäude neben der Färberei. Letztlich aber war es der Strukturwandel in der Textilindustrie, der auch in Engelskirchen zur Stilllegung des Betriebes führte.

Zwirnerei nach dem Umbau zu Wohnungen mit Museumsetagen, die von der neuen, großen Gebäudeöffnung im Zentrum der Zwirnerei zugänglich sind.
Die Umnutzung, die 1988 mit den Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet wurde, folgte zu seiner Zeit einem vergleichsweise neuen und wegweisenden Konzept im Umgang mit stillgelegten Fabriken. Bei der überwiegend bewahrenden, gleichwohl gelegentlich baulich eingreifenden und verändernden Umsetzung spielten nicht zuletzt Kostenfragen und ökologische Motive eine Rolle. Es kamen zudem ästhetisch-atmosphärische Aspekte zum Zuge, die in Gefolge der sogenannten Postmoderne virulent wurden (Schleper 1992).

So verwandelte sich ein bislang vom übrigen Ortsgeschehen abgeschnittener Raum zunächst rein wirtschaftlicher Nutzanwendung in ein vielstimmiges gemeindliches Zentrum, in eine Stätte der Begegnung, der Feierkultur, und nicht zuletzt in eine Gelegenheit für historische Bildung. Vor uns haben wir zugleich und insgesamt ein Statement zum Nachdenken wie Nachahmen hinsichtlich eines schonenden Umgangs mit einer soeben Geschichte gewordene Epoche (Boeminghaus u.a. 1988).

Einbindung der Baumwollspinnerei Ermen & Engels in die Ortsstruktur
Wanderwege führen vom Industriemuseum, zu dem sich mittlerweile auch ein von einem Verein getragenen „Engel-Museum“ in der Alten Schlosserei gesellt hat, in die nähere und fernere Umgebung. Hier lassen sich neben Arbeiterhäusern u.a. weitere Wasserkraftlagen entlang der Agger bis hin zur Aggertalsperre besichtigen. Ein Wanderweg führt nach Bickenbach zum funktionstüchtigen Schmiedehammer, genannt Oelchenshammer. Dieser wird vom Industriemuseum als Beispiel ursprünglicher Wasserkraftnutzung betreut und erklärt.

Schalttafel in der Zwirnerei.
Mittlerweile hat sich auch das LVR-Industriemuseum in Engelskirchen im Zuge einer synergetischen Neuaufstellung mehrfach im Verbund
Treibrad und Generator im Untergeschoß der Zwirnerei
aller Standorte gewandelt. 1996 erfolgte eine Neuausrichtung der Dauerausstellung mit dem Titel „Unter Spannung. Bei Ermen & Engels dem Strom auf der Spur.“ (Schleper 1996) Heute firmiert es als „Kraftwerk Ermen & Engels“, was das besondere Augenmerk auf die ehemalige Wasserkraftanlage lenkt samt zugänglichem Turbinengraben, Doppel-Francis-Turbinenanlage, gekoppelten Siemens-Generatoren, Regleranlage und Stromverteilertafel darüber. Eine zusätzlich eingerichtete Mitmach-Ausstellung, die Stromwerkstatt, sorgt für die Anbindung an schulische Lehrpläne zum Sachkunde-, Technik- und Umweltunterricht. Wechselnde Ausstellungen erlauben Einblicke in weiter gespannte industriekulturelle Themen, die neben der Produktions- und Technikgeschichte auch Aspekte der Konsumgeschichte umspannen, die ja nicht zuletzt die ungebremst anhaltende Energienachfrage samt ihren ökologischen Folgen betrifft. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf textil- und modegeschichtlichen Ausstellungen, um an die Vergangenheit der Fabrik anzuknüpfen.

Für Durchsicht und Hinweise danke ich Sabine Schachtner und Sonja Nanko.


Literatur

• Boeminghaus u. a. 1988
Boeminghaus, Dieter A. / Felder Wolfgang / Mandler, Artur / Gorin, Boris / Schwille, Dieter: Umwidmung, dargestellt am Beispiel Textilfabrik Ermen & Engels Engelskirchen, Aachen 19880

• Silke u. a. 1996
Engel, Silke / Schleper, Thomas / Heike Weber: Engelskirchen in drei Gängen. Erkundungstouren ins Industriezeitalter, Köln 1996

• Illner / Ising-Alms 2016
Illner, Eberhard / Ising-Alms, Heike: Von Barmen nach Manchester und Engelskirchen. Die frühe Industrialisierung in der Textilindustrie am Beispiel der Familie Engels. Das Historische Zentrum Wuppertal als Lern- und Erinnerungsort, in: Walter Buschmann (Hg.), Industriekultur Düsseldorf und das Bergische Land, Essen 2016

• Knieriem 1992
Knieriem, Michael: Gelebte Religion und regionale Strukturpolitik der Engels im Barmer „Bruch“, in: De Buhr, Hermann (Hg.), Die Bergischen „ein Volk von zugespitzter Reflexion". Region - Schule - Mentalität, Wuppertal 1992, S. 72 -101

• Knieriem BGV
Knieriem, Michael: Friedrich Engels. Vater und Sohn. Eine biographische Skizze, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins, Bd. 96, S. 79 – 112

• Mörth / Schleper 1996
Mörth, Regina / Schleper, Thomas: „In der Tat aber ist die Sache enorm revolutionär“. Stromversorgung und Stromverbrauch in Oberberg, in: Thomas Schleper mit Beiträgen von Beatrix Commandeur, Sabine Cornelius, Regina Mörth und Frank Remmel, Unter Spannung. Bei Ermen & Engels dem Strom auf der Spur, Köln 1996, S. 64 -71

• Robeck 1992
Robeck, Ulrike: Eiserne Moderne. Zur Konstruktion der Spinnerei von Ermen & Engels, in: Landschaftsverband Rheinland (Hg.), Sheds & Schlote. Industriebauten im Aggertal, Köln 1992, S. 88 -95

• Schleper 1987
Schleper, Thomas (Hg.): Ermen & Engels in Engelskirchen. Industrialisierung einer ländlichen Region (mit Beiträgen von Jost Auler, Christiane Hottes, Barbara Scheffran, Hildegard Vogeler), Köln 1987

• Schleper 1991
Schleper, Thomas: Mit Engels ins Industriezeitalter. Von Wasserkraft, Fabrikarbeit und Baukunst, Köln 1991

• Schleper 1992
Schleper, Thomas: Museum im Industriebau. Das Rheinische Industriemuseum zwischen Denkmal und Kulisse – Ein Nachtrag, in: Landschaftsverband Rheinland (Hg.), Sheds & Schlote. Industriebauten im Aggertal, Köln 1992, S. 166 – 182

• Schleper 1996
Schleper, Thomas (Hg.): Bei Ermen & Engels dem Strom auf der Spur (Katalog zur erneuerten Dauerausstellung mit Beiträgen von Beatrix Commandeur, Sabine Cornelius, Regina Mörth und Frank Remmel, Unter Spannung), Köln 1996

• Wester-Hilpert 1992
Wester-Hilpert, Irene: Volle Kraft voraus? Bauten der Energieversorgung, in: Landschaftsverband Rheinland (Hg.), Sheds & Schlote. Industriebauten im Aggertal, Köln 1992, S. 116 -127